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Der Sekundärstoffwechsel der Pflanzen. Sekundäre Pflanzenprodukte (Pflanzenstoffe)


ERNST STAHL (Jena), einer der Pioniere der Bearbeitung Sekundärer Pflanzenstoffe.


Pflanzliche Zellen enthalten weit mehr Stoffe, als im primären Stoffwechsel erzeugt werden. Terpene, Wachse, Alkaloide und Farbstoffe seien nur einige Stichworte, um anzudeuten, was hierunter zu verstehen ist. Auf eine Anregung von A. KÖSSEL (1891) zurückgehend, unterscheidet man zwischen dem Primärstoffwechsel und dem Sekundärstoffwechsel. Unter Primärstoffwechsel werden jene Biosynthesewege zusammengefaßt, deren Produkte für das Überleben der Zellen notwendig sind; unter Sekundärstoffwechsel versteht man solche, die nur in ganz bestimmten, meist ausdifferenzierten Zellen vorkommen, deren Produkte für die Zelle selbst entbehrlich sind, die aber für den Organismus als Ganzes nützlich sein können (z.B. Blütenfarbstoffe, -duftstoffe, Festigungselemente). Dabei sind die Grenzen fließend, denn weder gibt es die typische Zelle, noch ist in vielen Fällen klar, weshalb eine bestimmte Substanz tatsächlich gebildet wird.

Gerade Pflanzenzellen produzieren ein weites Spektrum sekundärer Produkte. Viele von ihnen sind hochgradig toxisch, vielfach werden sie in spezifischen Vesikeln, oft auch in der Vakuole gespeichert. Zumindest in einigen Fällen gibt es gute Hinweise darauf, daß diese Art der Lagerung einerseits einem Entgiftungsprozeß gleichkommt, andererseits aber auch einen Speicher für z.B. stickstoffhaltige Moleküle darstellt. Im Gegensatz zu Tieren produzieren Pflanzen nämlich keine stickstoffhaltigen Exkrete. Einige sekundären Stoffwechselprodukte können reversibel wieder abgebaut und in den Primärstoffwechsel eingeschleust werden, für andere wiederum trifft das nicht zu.

Obwohl die sekundären Pflanzenstoffe weit verbreitet sind, heißt es nicht, daß jede Pflanze jedes Produkt bilden kann. Manche Komponenten sind auf einzelne Arten, andere wiederum auf Gruppen nah verwandter Arten beschränkt. In nahezu allen Fällen findet man sie nur in bestimmten pflanzlichen Organen, oft auch nur in einem bestimmten Zelltyp (und innerhalb der Zellen nur in einem bestimmten Kompartiment), und meist werden sie nur während einer zeitlich begrenzten Entwicklungsphase gebildet.

Es gibt gute Gründe dafür, das Vorkommen bestimmter sekundärer Pflanzenstoffe (besser noch: Gruppen chemisch ähnlicher Stoffe) als taxonomisches Merkmal zu verwenden. Doch was wohl für alle morphologischen Merkmale gilt, trifft auch hier zu: Das Vorhandensein einer chemischen Substanz ist für die Pflanze adaptiv, wenngleich es für uns nicht immer so eindeutig in Erscheinung tritt, wie wir am Beispiel der Blütenfarbstoffe, des Lignins (einem mechanischen Festigungselement in Zellwänden) oder des Cutins (wasserabstoßender Abschluß eines Gewebes gegenüber der Außenwelt) sehen können.

Vielen sekundären Pflanzenstoffen kommt eine Signalfunktion zu. Hierher gehören die pflanzlichen Hormone, mit denen wir uns ihrer großen Bedeutung wegen an anderer Stelle ausführlich befassen werden. Sie beeinflussen die Aktivitäten anderer Zellen, steuern deren Stoffwechselaktivitäten und koordinieren die Entwicklungsabläufe in der ganzen Pflanze. Andere Substanzen, so die eben genannten Blütenfarbstoffe, dienen der Kommunikation zwischen Pflanzen und ihren Bestäubern, und wiederum andere schützen die Pflanzen vor Tierfraß und Infektionen. So bilden manche Pflanzenarten nach einer Pilzinfektion spezifische Phytoalexine, die eine Verbreitung des Pilzmycels im Pflanzengewebe unterbinden. Eine Anzahl von Substanzen wird ausgeschieden und beeinflußt die Existenz anderer Arten. Gerade bei Algen, aber auch bei Pilzen, wird die Kommunikation der Zellen untereinander durch extrazelluläre Substanzen gefördert, bzw. aufrechterhalten. Die Konsistenz der Stoffe reicht von gasförmig bis gallertähnlich. Niedermolekulare Exkretionsprodukte weisen hohe Diffusionsverluste auf, zeichnen sich aber durch einen großen Aktionsradius aus. Viele solcher Substanzen wirken antibiotisch, verhindern damit also das Auftreten konkurrierender Arten in der Umgebung des Produzenten und sichern ihm eine ökologische Nische.

Die gegenseitige Beeinflussung von Pflanzen durch stoffliche Ausscheidungen wird Allelopathie genannt. Sie kommt nicht nur bei Algen, sondern ebenso oft auch bei höheren Pflanzen vor.

Allelopathisch wirkende Substanzen können Keimung, Wachstum und Entwicklung anderer Pflanzen beeinträchtigen, selten ist ihr Einfluß stimulierend. Gegen die insektizide Wirkung mancher sekundärer Pflanzenstoffe haben die Insekten (und andere Tiere) ihrerseits Abwehrstrategien entwickelt. Im Verlauf ihrer Evolution entstanden zunächst Entgiftungsmechanismen, später kam sogar eine Abhängigkeit von bestimmten Pflanzenprodukten hinzu. So benötigen manche Arten für ihren Steroidstoffwechsel Ausgangssubstanzen aus der Pflanze, die dieser ursprünglich als Schutz dienten. Im tierischen Organismus werden diese meist leicht modifiziert und dadurch in ihrer Struktur vereinfacht.

Viele Pflanzenstoffe nehmen seit Jahrhunderten eine herausragende Rolle in der Heilkunde ein. Ihr pharmakologischer - und damit auch wirtschaftlicher Wert - haben auch heute nichts an Bedeutung eingebüßt. Sie werden entweder direkt oder nach chemischer Modifikation verwendet. Es darf dabei nicht unerwähnt bleiben, daß einige als Psychopharmaka wirken und das Morphin und das Meskalin den "harten Drogen" zuzurechnen sind.

Bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe findet man nicht nur bei phylogenetisch nahestehenden Arten (oder Familien), sondern oft auch bei solchen, zwischen denen keine unmittelbaren Verwandtschaftsverhältnisse bestehen. Schon J. v. SACHS wies (1882) in seinen "Vorlesungen über Pflanzenphysiologie" darauf hin, daß Milchröhren bei einer Anzahl von Arten auftreten, obwohl zwischen ihnen kein phylogenetischer Zusammenhang erkennbar ist. Er konstatierte aber auch, daß sich die Milchröhren in ihrem morphologischen Bau und ihrer Entstehungsgeschichte voneinander unterscheiden. Heute wissen wir von einer Reihe von Stoffwechselprodukten, die bei nicht verwandten Taxa scheinbar parallel entstanden sind, daß sie auf unterschiedliche Biosynthesewege zurückzuführen sind.




Biosynthese von Koffein auf zwei alternativen Wegen über Theophyllin oder über Theobromin



Einander ähnliche Produkte (hier: Naphthochinonderivate) können von völlig verschiedenen Ausgangssubstanzen abgeleitet sein und über unterschiedliche Zwischenprodukte entstehen (Nach J. B. HARBORNE, 1977):

Acetat-Malonatweg. Synthese von Plumbagin (bei Plumbago, Plumbaginaceae)
Shikimatweg, Synthese von Juglon (bei Juglans, Juglandaceae)
Homogentisinsäureweg. Synthese von Chimaphyllin (bei Chimaphila, Pyrolaceae)
Hydroxybenzoatweg. Synthese von Alkannin (bei Plagiobothrys, Boraginaceae)


Es gibt eine Anzahl von Mutanten, die aufgrund eines Blocks im Stoffwechsel nicht in der Lage sind, bestimmte Produkte zu bilden. Ein klassisches Beispiel hierfür sind weißblühende Sorten von Arten mit ansonsten farbigen, oft roten Blüten. Vielleicht liegt ein Merkmal einiger Synthesewege des Sekundärstoffwechsels tatsächlich darin, daß genetische Defekte zulässig sind und der Träger unter natürlichen Bedingungen dennoch eine hohe Überlebenschance haben kann.

Die chemische Struktur sekundärer Pflanzenstoffe ist durchweg komplexer als die der primären. Das ist verständlich, denn viele, doch bei weitem nicht alle, leiten sich von Aminosäuren oder Nukleotiden ab. Die große Zahl der in Pflanzen nachgewiesenen Verbindungen gehört nur relativ wenigen Stoffklassen an. Nur geringe chemische Modifikationen, wie Methylierungen, Hydroxylierungen, Einlagerung von Metallionen u.a. führen zu einem weiten Spektrum funktionell unterschiedlicher Substanzen.

Die wichtigsten Stoffklassen sind:


Oft sind die Verbindungen glykosyliert (sie tragen bestimmte Zuckerreste), ihre Wasserlöslichkeit nimmt damit zu. Der zuckerfreie Anteil einer solchen Substanz wird Aglykon gennannt.

Große Fortschritte in der chemischen Analyse sekundärer Pflanzenstoffe sind vor allem in den letzten 20 bis 30 Jahren zu verzeichnen gewesen. Der Einsatz moderner analytischer Verfahren, wie Chromatographie (in allen ihren Varianten), Elektrophorese, Isotopentechniken und Enzymolgie erlaubten es, die genauen Strukturformeln und die wichtigsten Biosynthesewege aufzuklären.

Zu den weitgehend noch offenen Fragen gehören Themenkreise wie: In welchen Kompartimenten wird ein bestimmtes Produkt gebildet? Finden alle Schritte des Biosyntheseweges dort statt, oder nur der letzte bzw. die letzten? Sind Synthese und Lagerung auf unterschiedliche Kompartimente verteilt? Wie ist organspezifisches Vorkommen erklärbar? Wie ist die Biosynthese geregelt? Sind die Biosynthesewege verzweigt, führen sie zu mehreren, verwandten Produkten, gibt es eine Endprodukthemmung? Warum läuft bei einer Art der eine, bei einer verwandten ein abweichender Weg ab? Wodurch wird die Synthese und die Aktivität der notwendigen Enzyme gesteuert? Sind es monomere Proteine oder Multienzymkomplexe, liegen sie frei in Lösung oder membrangebunden vor? Wie werden sie in der Zelle transportiert, wie werden sie gegebenenfalls ausgeschieden?


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