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aus: Naturwissenschaftliche Rundschau, 55. Jahrgang, Heft I, Seite 23-29, 2002

Zweite Walther-Arndt-Vorlesung

Die Autonomie der Biologie

Ernst Mayr, Cambridge, Massachusetts / USA

Die Biologie ist eine Naturwissenschaft wie Physik und Chemie, und doch ist sie in vieler Hinsicht anders als diese so genannten exakten Wissenschaften. Ihre Sonderstellung liegt darin begründet, daß Lebewesen eine doppelte Kausalität auszeichnet: Für sie gelten einerseits die Gesetze der Physik, doch erschließen sich gerade ihre Eigentümlichkeiten wie Evolution und Anpassung erst durch eine historische Analyse. Hierdurch verbindet die Biologie in einzigartiger Weise Naturwissenschaften und Geisteswissenschaften, so daß ihr eine Schlüsselstellung für die Philosophie zukommt. Im Folgenden wird die Entwicklung der Biologie nachgezeichnet, insbesondere ihre Abkehr von Irrlehren (Vitalismus, Essentialismus, Teleologie) und ihre Lösung von einem physikalistischen Weltbild. Die Autonomie der Biologie gründet sich auf Besonderheiten, denen nicht durch Gesetze, sondern durch Konzepte [Populationsdenken, Evolution, Auslese] adäquat Rechnung getragen wird.



Unser heutiges Verständnis von Wissenschaft ist das Produkt von Entwicklungen, die im 17. und 18. Jahrhundert vor sich gingen. Was man sich damals unter Wissenschaft vorstellte, war durch die Namen Galilei, Kepler, Newton, Descartes und Leibniz gekennzeichnet. Es war der glorreiche Aufstieg der physikalischen Wissenschaften, die von Erfolg zu Erfolg schritten. Man meinte Physik, wenn man von Wissenschaft sprach. Die Biologie war dabei nie mit eingeschlossen. Bezeichnenderweise stiftete Alfred Nobel Preise für Physik und Chemie, nicht aber für die Biologie. Die Wissenschaft der Biologie war eine Schöpfung des 19. Jahrhunderts. Natürlich gab es in der Medizin Teildisziplinen wie Anatomie, Physiologie und Embryologie, die wir heute der Biologie zurechnen. Aber durch ihre Ausrichtung auf Heilung wurden sie nicht als Teil einer gesonderten Wissenschaft, nämlich der Biologie, angesehen. Daneben gab es durchaus ein blühendes Interesse an der Naturgeschichte, aber unter dem Namen von Naturtheologie. Die Biologie führte bis ins 19. Jahrhundert ein Schattendasein.

In der Tat mußte vielerlei geschehen, ehe man die Biologie als eine selbständige Wissenschaft ansehen konnte. Man kann diese Ereignisse drei verschiedenen Gruppen zurechnen: (1) Die Widerlegung gewisser "Irrlehren", (2) der Beweis, daß gewisse Grundprinzipien der Physik nicht auf die Biologie anwendbar sind, und (3) die Anerkennung der Eigenständigkeit verschiedener Grundprinzipien der Biologie, die nicht auf die unbelebte Welt angewendet werden können.

Die Widerlegung gewisser "Irrlehren"

Als Irrlehre bezeichne ich hier die Befürwortung gewisser ontologischer Grundprinzipien, die sich später als irreführend herausstellten. Die Biologie konnte nicht als eine der Physik ebenbürtige Wissenschaft anerkannt werden, solange ein Großteil der Biologen diese Irrlehren vertraten. Die zwei wesentlichen Irrlehren sind der Vitalismus und die kosmische Teleologie. Nach Widerlegung dieser beiden Lehren stand der Anerkennung der Biologie nichts mehr im Wege.

Vitalismus

Seit Beginn der Philosophie war die Natur des Lebens, des Lebendigseins, ein Rätsel. Descartes versuchte dies dadurch zu lösen, daß er das "Lebendigsein" einfach ignorierte. Ein Organismus ist weiter nichts als eine Maschine, sagte er. Die meisten Naturforscher waren damit keineswegs einverstanden. Sie waren davon überzeugt, daß in einem lebenden Organismus gewisse Kräfte tätig sind, die es in der unbelebten Natur nicht gibt. Sie schlossen, daß genau so wie die Bewegung der Planeten, Sonnen und Sterne durch eine okkulte, unsichtbare Kraft reguliert wird, die Isaac Newton Schwerkraft genannt hatte, die Bewegungen und andere Äußerungen des Lebens bei Organismen durch eine verborgene Kraft, eine Lebenskraft oder vis vitalis, reguliert würden. Wer an eine solche Kraft glaubte, wurde ein Vitalist genannt. Vitalismus war vom frühen 17. Jahrhundert bis in die 1920er Jahre hinein populär. Es war eine ganz natürliche Reaktion auf den krassen Mechanismus von Rene Descartes. Zwei der bedeutendsten Vertreter des Vitalismus waren Heny Bergson und Hans Driesch. Der Vitalismus kam zu Ende, als er keine Anhänger mehr finden konnte. Zwei Gründe waren dafür verantwortlich, erstens das Fehlschlagen all der Tausende von Versuchen, die Existenz einer Lebenskraft nachzuweisen, und zweitens die Entdeckung, daß die neue Biologie mit den Methoden der Genetik und Molekularbiologie all die Probleme lösen konnte, für die man früher eine Lebenskraft brauchte. Mit anderen Worten, die Annahme einer Lebenskraft war einfach überflüssig geworden.

Es wäre unhistorisch, den Vitalismus lächerlich machen zu wollen. Wenn wir die Schriften eines der führenden Vitalisten wie Driesch lesen, so müssen wir ihm darin zustimmen, daß viele Grundprobleme der Biologie von einer Philosophie wie der von Descartes, in der ein Organismus einfach als eine Maschine gilt, nicht gelöst werden können. Besonders die Entwicklungsbiologen stellten stark herausfordernde Fragen. Zum Beispiel: Wie kann eine Maschine verlorene Teile ebenso erneuern, wie es viele Tierformen vermögen? Wie kann eine Maschine sich selbst reproduzieren? Wie können zwei Maschinen zu einer einzigen verschmelzen, vergleichbar der Verschmelzung zweier Keimzellen, die ein neues Individuum erzeugt?

Die Logik der Vitalisten war einwandfrei, aber alle ihre Bemühungen, eine wissenschaftliche Antwort auf die so genannten vitalistischen Phänomene zu finden, waren Fehlschläge. Generationen von Vitalisten arbeiteten vergeblich daran, eine wissenschaftliche Erklärung für die Lebenskraft zu finden, bis es schließlich ganz klar wurde, daß eine solche Kraft einfach nicht existiert.

Teleologie

Eine zweite Irrlehre, die aus der Biologie entfernt werden mußte, ehe diese sich als eine der Physik gleichberechtigte Wissenschaft qualifizieren konnte, ist die (kosmische) Teleologie. Um die Entwicklung vom befruchteten Ei zum Erwachsenen einer bestimmten Art zu erklären, führte Aristoteles eine vierte Ursache ein, die causa finalis. Auf ebrn diese Ursache, die schließlich Teleologie genannt wurde, berief man sich bei all jenen kosmischen Phänomenen, die zu einem Ende oder Ziel zu führen schienen. Eine solche kosmische Teleologie wurde von einer Schule der Evolutionisten, den Orthogenetikern, benutzt, um sämtliche Evolutionserscheinungen zu erklären. Sie kennzeichnete im Wesentlichen auch Lamarcks Evolutionstheorie und hatte vor der evolutionären Synthese viele Anhänger. Allerdings konnte eine Erklärung für das Wirken eines solchen teleologischen Prinzips nie gefunden werden, und die Erkenntnisse der Genetik und der Paläontologie diskreditierten die Teleologie schließlich vollständig. Der bekannte amerikanische Philosoph Willard V. O. Quine erzählte mir einmal, daß er es als Charles Darwins größte Leistung ansähe, daß er Aristoteles' finale Ursache widerlegt hätte, indem er zeigte, daß eine Entwicklung hin zu einem bestimmten Ziel durch die natürliche Auslese erklärt werden könne. Scheinbar zielgerichtete Vorgänge findet man häufig in der Natur, vor allem in der Biologie. Nur erklärt man sie nicht länger durch okkulte teleologische Kräfte, sondern sie können jetzt durch wissenschaftlich zugängliche chemisch-physikalische Faktoren erklärt werden. Ich unterscheide vier Gruppen solcher Faktoren, die früher als teleologisch bezeichnet wurden [1, 2].

Vom 18. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts waren die Biologen und Wissenschaftsphilosophen in zwei Lager gespalten. Solche, die von der Physik, Chemie, Mathematik und Logik her kamen, taten so, als würde die Biologie nicht existieren, oder zumindest, als wenn sie sich nicht wesentlich von den physikalischen Wissenschaften unterschied. Die Vertreter der Wiener Schule und ihre Nachfolger - Rudolf Carnap, Carl Gustav Hempel, und Ernest Nagel bis zu Karl Popper und Thomas S. Kuhn - haben sämtlich die speziellen philosophischen Probleme der Biologie vernachlässigt, ja ignoriert. Die Biologen wiederum akzeptierten entweder dieses Urteil der Physikalisten und veröffentlichten philosophische Betrachtungen über Biologie, welche die in der belebten Welt auftauchenden besonderen philosophischen Probleme ignorierten, oder sie waren Vertreter des Vitalismus.

Es gab zwar noch einige andere Versuche, einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, aber alle - so zum Beispiel die von Hans Tonas, Adolf Portmann, Jacob von Uexküll und vielen anderen - beriefen sich auf irgendwelche nicht-mechanische Kräfte, Etwa zur Mitte des 20. Jahrhunderts kam endlich einige Klarheit in diese Fragen. Erstens wurde offensichtlich, daß die Lösung nicht von einem Philosophen ohne biologischen Hintergrund gefunden werden könnte. Und ebenso offensichtlich wurde, daß wie immer die Lösung auch aussehen mochte, sie mit den etablierten Naturgesetzen vollständig vereinbar sein mußte, ohne sich auf irgendwelche okkulte Kräfte berufen zu dürfen, Aber wie sollte man eine Lösung finden, die diesen Anforderungen genügte ?

Die Lösung

Es stellte sich heraus, daß zwei Dinge nötig waren, um eine autonome Wissenschaft der Biologie zu entwickeln. Erstens: Eine kritische Analyse des begrifflichen Rahmens der physikalischen Wissenschaften ergab, daß einige ihrer grundlegenden Prinzipien einfach nicht auf die Biologie anwendbar sind. Sie mußten entfernt und durch die Biologie zutreffende Prinzipien ersetzt werden. Zweitens war zu klären, ob es Grundprinzipien gibt, die der Biologie eigen, jedoch auf die unbelebte Materie nicht anwendbar sind. Diese Analyse gipfelte in einer Neustrukturierung der Vorstellungswelt der Biologen, die sehr viel grundsätzlicher war, als sich zu jener Zeit überhaupt jemand hatte vorstellen können. Die Veröffentlichung von Darwins "Origin of Species" 1859 war tatsächlich der Beginn einer intellektuellen Revolution, die schließlich in der Etablierung der Autonomie der Biologie endete. Darwins Ideen waren besonders wichtig im Hinblick auf die Widerlegung einiger Grundvorstellungen, die in der Mitte des 19, Jahrhunderts noch vorherrschend waren, Ich werde jetzt vier dieser Grundvorstellungen der Physikalisten diskutieren, deren Widerlegung nötig war, bevor letztlich erkannt werden konnte, wie sehr sich Biologie von Physik unterscheidet.


Seit den Pythagoreern und Platon war es die traditionelle Vorstellung von der Vielfalt der Welt, daß sie aus einer begrenzten Anzahl streng abgegrenzter und unveränderbarer eide oder Essenzen bestünde. Diese Anschauung wurde Typologie oder Essentialismus genannt. Die scheinbar endlose Vielfalt der Phänomene, so sagte man, bestünde in Wirklichkeit aus einer begrenzten Anzahl "natürlicher Sorten" (natural kinds; Essenzen oder Typen), wobei jede eine Klasse bildete. Von den Mitgliedern einer Klasse wurde angenommen, daß sie miteinander identisch, unveränderbar und scharf getrennt von den Angehörigen jedes anderen Typs waren. Deshalb wurde Variation als unwesentlich und nur zufällig angesehen. Die Essentialisten illustrierten diese Vorstellung am Beispiel des Dreiecks. Alle Dreiecke haben die gleichen wesentlichen Merkmale und sind streng abgegrenzt von Quadraten oder anderen geometrischen Figuren. Ein Mittelding zwischen Dreieck und Quadrat ist undenkbar.

Typologisches Denken hat demnach keinen Platz für Variation und führt zu einer irreführenden Vorstellung von menschlichen Rassen. Für den Typologen sind Kaukasier, Afrikaner, Asiaten oder Inuits Typen, die sich deutlich von anderen ethnischen Gruppen unterscheiden. Diese Denkweise führt zum Rassismus. Darwin lehnte typologisches Denken vollständig ab und benutzte stattdessen ein ganz anderes Konzept, das man jetzt Populationsdenken nennt, worauf ich noch eingehen werde.


Ein zweites Prinzip, das nicht zur Biologie paßt, ist der Determinismus. Eine Konsequenz der Anerkennung der deterministischen Newton'schen Gesetze war, daß sie keinen Raum für Variation und Zufälle ließen. Der berühmte französische Mathematiker und Physiker Pierre Simon de Laplace brüstete sich damit, daß ihm ein vollständiges Wissen über die gegenwärtige Welt und alle ihre Prozesse erlauben würde, die Zukunft bis zur Unendlichkeit vorherzusagen. Selbst die Mehrzahl der Physiker entdeckte jedoch bald, daß genügend Willkür und Zufälligkeit vorkamen, um die Gültigkeit der Laplace'schen Behauptung zurückzuweisen. Die Widerlegung des strikten Determinismus und der Möglichkeit einer absoluten Vorhersage machten den Weg frei für die Untersuchung von Variation und Zufallsphänomenen, die in der Biologie so wichtig sind.


Ein drittes Prinzip, das widerlegt werden mußte, war der Reduktionismus. Die meisten exakten Naturwissenschaftler waren Reduktionisten. Sie behaupteten, daß das Problem der Erklärung eines Systems im Prinzip gelöst war, sobald das ganze System auf seine kleinsten Komponenten reduziert war. Damit behaupteten sie, daß sobald man die Beschaffenheit dieser Komponenten vollständig ermittelt und die Funktionen jeder einzelnen bestimmt hätte, es ein Leichtes wäre, auch jene Dinge zu erklären, die auf einer höheren Organisationsebene beobachtet werden. Gegen diese Behauptung protestierten Biologen bereits vor mehr als hundert Jahren energisch. Darwins Freund Thomas Henry Huxley fragte die Reduktionisten, warum die Reduktion von Wasser (H2O) in die Gase Wasserstoff und Sauerstoff nicht die Natur des Wassers erklärt? Was die Reduktionisten verwechselten, war Reduktion und Analyse. Natürlich lernen wir sehr viel über ein komplexes System, wenn wir es analysieren. Tatsächlich ist die Analyse die bedeutendste und heuristischste Methode in allen Wissenschaftsdisziplinen, die Biologie eingeschlossen. Doch ist es in vielen Fällen gar nicht nötig, in der Analyse auf die kleinsten Teile (z. B. Elektronen, Protonen usw.) herunterzugehen. Um ein System zu verstehen, muß man vielmehr - was von den Reduktionisten gewöhnlich übersehen wurde - nicht nur die Eigenschaften seiner Komponenten kennen, sondern auch die Art und Weise der Wechselwirkungen zwischen diesen Komponenten. Und es sind gerade diese Wechselwirkungen, die für belebte Systeme von so großer Bedeutung sind.


Alle Theorien in den physikalischen Wissenschaften basieren auf Naturgesetzen. Dabei gibt es normalerweise keine Ausnahmen, was Popper zu der Behauptung veranlaßte, jede Ausnahme einer Theorie komme ihrer Widerlegung gleich. Insgesamt gesehen sind tatsächlich genauestens formulierte Gesetze die Basis für die Theoriestruktur der physikalischen Wissenschaften. Aber gilt das auch für die Biologie? Dies haben eine Reihe von Philosophen ernsthaft in Frage gestellt [3, 4], und in der Tat beruhen ziemlich wenige Theorien in der Biologie auf Gesetzen. Wie wir sehen werden, beruhen sie gewöhnlich auf Konzepten.

Die Widerlegung dieser vier Prinzipien - mit grundlegender Bedeutung für die exakten Naturwissenschaften - für die Biologie hat viel zu der Einsicht beigetragen, daß Biologie nicht das Gleiche ist wie Physik. Es war der schwerste Schritt auf dem Weg zur Entwicklung einer zuverlässigen Philosophie der Biologie, diese irrigen, aus dem Physikalismus übernommenen Ideen loszuwerden. Aber ehe wir uns den für die Biologie entwickelten spezifischen Konzepten zuwenden, müssen wir uns noch näher mit der Biologie und mit dem, was wir unter Biologie verstehen, beschäftigen.

Was ist Biologie?

Die Antwort auf diese Frage ist, daß die Biologie in Wirklichkeit aus zwei sehr verschiedenen Bereichen besteht, der funktionalen und der historischen Biologie. Die funktionale Biologie beschäftigt sich mit der Physiologie aller Vorgänge bei lebenden Organismen, besonders mit Zellprozessen, die des Genoms eingeschlossen. Diese funktionalen Prozesse können mit Chemie und Physik erklärt werden. Besser gesagt, sie können dies nur bis zu einem gewissen Grad. Denn diese biologischen Prozesse unterscheiden sich in einem Punkt grundsätzlich von allen Prozessen der unbelebten Welt; Sie sind einer dualen Kausalität unterworfen. Im Gegensatz zu rein physikalischen Prozessen werden sie nicht nur von den Naturgesetzen, sondern auch von einem genetischen Programm gesteuert.

Diese Dualität schafft eine klare Abgrenzung zwischen unbelebten und belebten Prozessen. Der andere Zweig der Biologie ist die historische Biologie. Zur Erklärung rein funktionaler Prozesse braucht man keine Geschichte. Sie ist jedoch außerordentlich wichtig, wenn man Erklärungen für diejenigen Aspekte der lebenden Welt sucht, die in der Zeit stattfinden oder stattgefunden haben, mit anderen Worten, sämtliche Erscheinungen, die - wie wir heute wissen - mit Evolution zu tun haben.

Die beiden Gebiete der Biologie unterscheiden sich auch im Hinblick auf die Art der meist gestellten Fragen. Zweifelsohne werden in beiden Gebieten Was-Fragen gestellt, um die Fakten für weitergehende Analysen zu erhalten. Die meist gestellte Frage in der funktionalen Biologie ist jedoch "wie?", während es in der Evolutionsbiologie die Frage "warum?" ist. Dieser Unterschied besteht nicht total, weil auch in der Evolutionsbiologie gelegentlich Wie-Fragen gestellt werden, beispielsweise: Wie entstehen neue Arten? Aber wie wir sehen werden, hat die Evolutionsbiologie ihre eigene Methodik entwickelt, die der historischen Erklärung (historical narratives), um Antworten insbesondere dort zu erhalten, wo die Durchführung von Experimenten unmöglich ist.

Es ist wichtig, sich des bemerkenswerten Unterschiedes zwischen diesen beiden Bereichen der Biologie bewußt zu sein, wenn man die Autonomie der Biologie würdigen will. Tatsächlich beziehen sich einige der entscheidendsten Unterschiede zwischen den physikalischen Wissenschaften und der Biologie nur auf einen Zweig der Biologie, die Evolutionsbiologie.

Die duale Kausalität jedoch, vielleicht das rictige Merkmal der Biologie, durch das sie sich eindeutig von den physikalischen Wissenschaften unterscheidet, ist eine Eigenschaft beider Gebiete der Biologie. Mit dualer Kausalität meine ich hier natürlich nicht Descartes' Unterscheidung von Leib und Seele, sondern vielmehr die Tatsache, daß alle lebenden Prozesse zwei Kausalitäten gehorchen. Die eine sind die Naturgesetze, die gemeinsam mit dem Zufall alles vollständig steuern, was in der Welt der exakten Naturwissenschaften passiert. Die andere Kausalität ist das genetische Programm, das die lebende Welt auf einzigartige Weise kennzeichnet. Es gibt in der lebenden Welt kein einziges Phänomen beziehungsweise keinen einzigen Prozeß, der nicht durch ein im Genom enthaltenes genetisches Programm gesteuert wird. Es gibt keine einzige Aktivität eines Organismus, die nicht von einem solchen Programm gesteuert wird. Es gibt nichts Vergleichbares in der unbelebten Welt. Doppelte Kausalität ist aber nicht die einzige Eigenheit der Biologie, welche die These von der Autonomie der Biologie stützt. Es gibt weitere sechs oder sieben wichtige Konzepte, die sie untermauern. Einige von diesen möchte ich nun besprechen

Autonome Erscheinungen in der Biologie

Das wichtigste ist das Konzept der Evolution. Natürlich wußten Geologen bereits vor Darwin von Veränderungen der Erdoberfläche, und Kosmologen wußten um die Wahrscheinlichkeit von Veränderungen im Universum, besonders im Sonnensystem. Trotzdem wurde die Welt als etwas Beständiges angesehen, als etwas, das sich seit den Tagen der Schöpfung nicht verändert hatte. All dies änderte sich grundlegend, als der Wissenschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die allumfassende Bedeutung der Evolution für die belebte Welt bewußt wurde.

Nun zu einem zweiten äußerst wichtigen Konzept. Die Annahme des Konzepts der Biopopulation für das was heute wahrscheinlich als der grundlegenste Unterschied zwischen der belebten und der unbelebten Welt gilt. Die unbelebte Welt besteht aus platonischen Klassen aus Essenzen oder Typen mit jeweils identischen Mitgliedern, wobei Variation als zufällig und deshalb nicht relevant gilt. Im Gegensatz dazu ist in einer Biopopulation jedes Individuum einzigartig, und der statistische Mittelwert einer Population ist nur eine Abstraktion. Unter den sechs Milliarden Menschen gibt es nicht zwei, die völlig gleich sind. Populationen einer Art unterscheiden sich nicht typologisch voneinander, sondern nur durch statistische Durchschnittswerte. Die Eigenschaften einer Population ändern sich von Generation zu Generation nur ganz allmählich. Sich die lebende Welt als eine Reihung ständig variierender Populationen vorzustellen, die in der Generationenfolge verbunden sind, führt zu einem Weltbild, das von dem eines Typologen völlig verschieden ist. Der von Newton angenommene Rahmen unveränderlicher Gesetze läßt den Physiker zur Typologie neigen. Darwin führte das Populationsdenken so beiläufig in die Biologie ein, daß es lange Zeit dauerte, bevor man merkte, daß es sich dabei um ein völlig anderes Konzept handelt als das traditionelle typologische Denken in den physikalischen Wissenschaften.

Populationsdenken und Populationen sind keine Gesetze, sondern Konzepte. Es ist einer der fundamentalsten Unterschiede zwischen Biologie und den so genannten exakten Naturwissenschaften, daß Theorien in der Biologie auf Konzepten beruhen, während sie in den physikalischen Wissenschaften auf Naturgesetzen fußen. Solche Konzepte, die eine wichtige Grundlage für Theorien in verschiedenen Zweigen der Biologie wurden, sind zum Beispiel Territorium (Revier), Partnerwahl durch Weibchen, sexuelle Selektion, Ressource und geographische Isolation (Separation). Auch wenn sich einige dieser Konzepte durch entsprechende Umformulierung als Gesetze ausdrücken ließen, sind sie doch etwas völlig anderes als die Newton'schen Naturgesetze.

Das neuartigste und bedeutendste Konzept, das vom Darwin eingeführt wurde, war sicherlich das der natürlichen Selektion. Dieser Mechanismus ermöglichte ihm, die in der Argumentation der Naturtheologen so bedeutsame "Planung" (das design) zu erklären. Die Tatsache, daß alle Organismen scheinbar perfekt aneinander und an ihre Umgebung angepaßt sind, wurde von den Naturtheologen dem vollkommenen Plan Gottes zugeschrieben. Darwin aber zeigte, daß sich diese Anpassung ebenso gut, tatsächlich sogar besser, durch die natürliche Selektion erklären ließ.

Die natürliche Selektion stellt einen Prozeß dar, der ebenso einfach wie überzeugend ist, so daß es eigentlich ein Rätsel ist, warum es fast 80 Jahre dauerte, bis er von den Evolutionisten allgemein angenommen wurde. Allerdings wurde der Mechanismus im Laufe der Zeit etwas modifiziert. Es ist für einige Biologen schwer zu verstehen, daß die natürliche Selektion streng genommen überhaupt kein Auswahlverfahren ist, sondern eher ein Eliminierungsverfahren. Es sind die am wenigsten gut angepaßten Individuen jeder Generation, die eliminiert werden, während diejenigen, die besser angepaßt sind, eine größere Überlebenschance haben. Natürliche Selektion ist das Ergebnis der Zusammenarbeit von Variation und Elimination. Es ist die Selektion (Elimination), die in den meisten Erörterungen von Evolutionisten die Hauptrolle spielt. Dagegen bin ich im Laufe der Zeit zu der Überzeugung gekommen, daß die Variation, das heißt die Kapazität des Genotyps zu einer enormen Variationsbreite, die wichtigste Vorbedingung für Evolution ist. Natürlich handelt es sich nicht um ein Entweder-Oder. Für mich sind die Erzeugung von Variation und die eigentliche Selektion untrennbare Bestandteile eines einzigen Prozesses. Im ersten Schritt entsteht Variation durch Mutation und Rekombination, und im zweiten Schritt werden die Varianten durch Elimination ausgelesen. Bei der sexuellen Selektion findet allerdings eine tatsächliche Auswahl statt. Die natürliche Selektion ist die treibende Kraft der organischen Evolution und stellt einen Prozeß dar, der in der unbelebten Natur völlig unbekannt ist.

Die Evolutionsbiologie ist eine historische Wissenschaft. Sie unterscheidet sich in ihrem begrifflichen Rahmen und ihrer Methodik deutlich von den exakten Naturwissenschaften. Sie beschäftigt sich weitgehend mit einzigartigen Phänomenen wie etwa dem Aussterben der Dinosaurier, dem Ursprung des Menschen, der Entstehung evolutionärer Neuheiten, der Erklärung evolutionärer Tendenzen und der Geschwindigkeit von Evolution sowie der Erklärung organischer Vielfalt. Die Evolutionsbiologie versucht, Antworten auf Warum-Fragen zu geben. Experimente sind gewöhnlich nicht geeignet, um Fragen nach der Evolution zu beantworten. Wir können kein Experiment zum Aussterben der Dinosaurier oder zur Menschwerdung durchführen. Aber es steht uns eine bemerkenswerte heuristische Methode zur Verfügung, die der historischen Rekonstruktion (historical narratives). So wie man in der Theoriebildung mit einer Annahme beginnt, die man sorgfältig auf ihre Gültigkeit überprüft, so konstruiert man in der Evolutionsbiologie ein Szenario, eine historische Schilderung, die man auf ihre Erklärungskraft hin prüft. Nehmen wir als Beispiel das Aussterben der Dinosaurier. Eine erste Vermutung besagte, daß sie Opfer einer verheerenden Virus- oder Bakterienepidemie wurden. Aus mehreren Gründen war dieses Szenario nicht wirklich glaubhaft. Ein zweites Szenario nahm an, daß eine drastische Klimaänderung zu dem Massenaussterben geführt hatte. Aber von Geologen wurden keine Hinweise für einen drastischen Klimawechsel gefunden. Schließlich schlugen die Physiker Luis und Walter Alvarez vor, daß die Erde von einem Meteoriten , getroffen worden sei, wodurch riesige Mengen Staub aufgewirbelt worden waren, die das Leben auf der Erde für kurze Zeit sehr erschwerten. Die Dinosaurier starben aus, aber offensichtlich hatten einige kleine Säugetiere das Glück, zu überleben. Der Einschlagskrater des postulierten Meteoriten wurde schließlich nahe der Yucatan-Halbinsel in Mexiko gefunden. Alle späteren Entdeckungen stützten die Impakt Theorie in solchem Maße, daß sie heute allgemein akzeptiert wird.

Die historische Rekonstruktion ist zweifelsohne eine Methodik der historischen Wissenschaften. Tatsächlich steht die Evolutionsbiologie als Wissenschaft in vielerlei Hinsicht den Geisteswissenschaften näher als den Naturwissenschaften. Würde man eine Grenze zwischen den exakten Wissenschaften und den Geisteswissenschaften ziehen, so würde sie mitten durch die Biologie verlaufen. Die Funktionsbiologie müßte den Naturwissenschaften zugeordnet werden, während die Evolutionsbiologie unter die Geisteswissenschaften fiele. Dies zeigt übrigens die Anfechtbarkeit der althergebrachten Klassifizierung der Wissenschaften. Diese Klassifizierung wurde von Philosophen vorgenommen, die mit den physikalischen Wissenschaften und den Geisteswissenschaften vertraut waren, die aber die Existenz der Biologie völlig ignorierten.

Nun noch zu einem weiteren Kennzeichen der Biologie, dem Zufall. In den physikalischen Wissenschaften führen die Naturgesetze normalerweise zu stark deterministischen Ergebnissen. Weder die natürliche noch die geschlechtliche Selektion gewährleisten einen solchen Determinismus. Tatsächlich ist das Ergebnis eines evolutionären Prozesses gewöhnlich die Folge von Wechselwirkungen zahlreicher Zufallsfaktoren. Blinder Zufall produziert auch die Variation. Er herrscht sowohl beim crossing-over wie bei der Verteilung, der Chromosomen in der Reduktionsteilung. Gerade wegen dieses Zufallsaspektes wurde die Theorie der natürlichen Selektion am häufigsten kritisiert. Doch ist es gerade diese Unabhängigkeit vom Determinismus, die der natürlichen Selektion ihre große Flexibilität gibt. Es ist keineswegs wahr, wie von Darwins Zeitgenossen, zum Beispiel dem Geologen Sedgwick behauptet wurde, daß es unwissenschaftlich sei, sich auf den Zufall zu berufen, Es ist gerade die Zufälligkeit der Variation, die so charakteristisch für die Darwin'sche Evolution ist. Dennoch ist die relative Bedeutung des Zufalls im Evolutionsprozess auch heute noch sehr umstritten. Natürlich hat die eigentliche Selektion immer das letzte Wort.

Der Reduktionismus war die erklärte Philosophie der Physikalisten: Alles sei auf seine kleinsten Bestandteile zu reduzieren, deren Eigenschaften seien zu bestimmen, und damit sei das gesamte System erklärt. In einem biologischen System dagegen treten so viele Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen auf, zum Beispiel zwischen den Genen eines Genotyps, daß selbst ein vollständiges Wissen über die Eigenschaften der kleinsten Bestandteile notgedrungen nur eine Teilerklärung bieten kann. Diesem Sachverhalt wird man nur durch ein holistisches Denken gerecht. Nichts ist charakteristischer für biologische Prozesse als die auf allen Ebenen stattfindenden Wechselwirkungen: Zwischen den Genen und Geweben, zwischen Zellen und anderen Komponenten des Organismus, zwischen dem Organismus und seiner unbelebten Umwelt und zwischen verschiedenen Organismen. Gerade diese Wechselwirkungen zwischen ihren Teilen verleihen der Natur als Ganzes, dem Ökosystem, der sozialen Gruppe oder den Organen eines einzelnen Organismus ihre charakteristischen Ausprägungen. Und ich wiederhole das zuvor Gesagte, daß nämlich die Ablehnung des Reduktionismus kein Angriff auf die Analyse ist. Kein komplexes System kann ohne sorgfältige Analyse verstanden werden. Doch die Wechselwirkungen zwischen den Bestandteilen müssen ebenso untersucht werden wie die Eigenschaften der einzelnen Komponenten.

Zusammenfassung

Wir können jetzt die Ergebnisse unserer Untersuchung. zur Autonomie der Biologie zusammenfassen. Wir haben also festgestellt, daß die Biologie ebenso wie Chemie und Physik eine Wissenschaft ist. Aber die Biologie unterscheidet sich in vielerlei Hinsicht von den so genannten exakten Wissenschaften. Der deutlichste Unterschied besteht sicherlich darin, daß die Biologie zum Teil eine historische Wissenschaft ist. Für diesen Teil der Biologie, die Evolutionsbiologie, ist die wichtigste heuristische Vorgehensweise die Methode der historischen Rekonstruktion. Der Forschungsgegenstand der Biologie sind lebende Organismen, die sich in vielfacher Hinsicht fundamental von unbelebten Objekten unterscheiden. Sie haben vor allem zwei Kennzeichen, für die es in der Welt des Physikers nichts Entsprechendes gibt. Eines besteht darin, daß jede Aktivität und jeder Prozeß von zwei Kausalitäten bestimmt wird. Erstens von den Naturgesetzen, denselben Naturgesetzen, welche die physikalischen Wissenschaften bestimmen. In der Biologie gibt es deshalb keinen Raum für so etwas wie den Vitalismus, was im Widerspruch zu den Naturgesetzen stünde. Hingegen werden lebende Organismen und ihre Teile von einer zweiten Kausalität beherrscht, dem genetischen Programm. Die Abwesenheit oder das Vorhandensein eines genetischen Programms markiert die scharfe Grenze zwischen der unbelebten und der belebten Welt, Das zweite ist, daß typologisches (essentialistisches) Denken in der Biologie irreführend ist. Stattdessen muß so genanntes Populationsdenken eingesetzt werden, welches anerkennt, daß jedes Individuum in einer biologischen Population einzigartig und von jedem anderen verschieden ist. Der statistische Mittelwert einer Population ist lediglich eine Abstraktion, Sowohl die zweifache Kausalität als auch die Einzigartigkeit jedes Individuums einer Population kennzeichnen die Lebewelt und sind somit charakteristisch für die Biologie.

Dies erklärt auch, warum alle vor den letzten fünfzig Jahren unternommenen Bestrebungen, eine Philosophie der Biologie innerhalb des konzeptuellen Rahmens der physikalischen Wissenschaften zu errichten, Fehlschläge waren. Die Biologie ist, wie wir jetzt erkennen, eine autonome Wissenschaft. Und eine Philosophie der Biologie muß den besonderen Merkmalen der belebten Welt Rechnung tragen, jedoch ohne daß dies im Widerspruch zu den strengen physiko-chemischen Erklärungen auf der zellulär-molekularen Ebene steht.

Der Mensch ist ein lebendiger Organismus, der sich, legt man geologische Zeiträume zugrunde, erst kürzlich aus einem afrikanischen Affen entwickelt hat. Deshalb darf eine Philosophie des Menschen nicht im Widerspruch zur Philosophie der Biologie stehen. Gleichzeitig ist der Mensch ein so einzigartiger Organismus, daß eine Philosophie, die sich auf seine rein biologischen Merkmale beschränkt, äußerst unzureichend wäre, Aber es war hier nicht mein Thema, zu diskutieren, wie eine wahre Philosophie des Menschen entwickelt werden könnte, welche die speziellen menschlichen Probleme in den Bereichen Erkenntnis, Kultur und Ethik zu bewältigen vermag. Was ich stattdessen deutlich machen wollte, ist, daß eine autonome Philosophie der Biologie der Ausgangspunkt für den Aufbau einer neuen Philosophie des Menschen sein muß und nicht, wie oftmals erfolglos versucht wurde, eine Philosophie der exakten Wissenschaften. Und aus diesem Grund ist es so wichtig, daß wir die Autonomie der Biologie genau verstehen.

 

Literatur

[l] E. Mayr: The idea of teleology. J. Hist. Ideas 53, 117 (1992). -
[2] E. Mayr: The multiple meanings of "Teleological". Hist. Phil. Life Sci. 20, 35 (1998).
[3] J. J. C. Smart: Philosophy and Scientific Realism. Routledge & Kegan Paul. London 1963.
[4] J. Beatty: The evolutionary contingency thesis. In G. Wolters, J. Lennox (Hrsg.): Concepts, Theories and Rationality in the Biological Sciences. University of Pittsburgh Press. Pittsburgh 1995.
[5] U. Deichmann: Die Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin in der Ära des Dritten Reiches. Ber. Ges. Naturf. Freunde Berlin (N.F.) 38, 1 (1999)

Der Aufsatz beruht auf der zweiten Walther-Arndt-Vorlesung, die Ernst Mayr am 26. Juni 2001 auf Einladung der Humboldt-Universität zu Berlin und der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin gehalten hat. Das Manuskript wurde von Prof. Dr. Walter Sudhaus (Freie Universität Berlin) redigiert und wurde zuerst in den Sitzungsberichten der Gesellschaft veröffentlicht (Ber. Ges. Naturf. Freunde Berlin (N.F.) 40, 5 (2001)

Der Zoologe Walther Arndt war viele Jahre Mitglied der Gesellschaft Naturforschender Freunde zu Berlin und wirkte seit 1921 am Berliner Museum für Naturkunde. International bekannt wurde er durch seine Studien über die Artenzahlen von Tieren. Als eher unpolitischer Gelehrter lehnte er den Nationalsozialismus entschieden ab. Aufgrund privater Äußerungen zweimal denunziert, wurde er Anfang 1944 verhaftet. Trotz Intervenüon von Fachkollegen - darunter auch solchen, die der NSDAP angehörten wurde Arndt wegen Wehrkraftszersetzung zum Tode verurteilt und am 26. Juni 1944 im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet [5]. Seinem ehrenden Andenken dient die Walther-Arndt-Vorlesung und - seitens der Deutschen Zoologischen Gesellschaft (DZG] - der seit 1991 verliehene Walther Arndt Habilitationspreis. [Photos NR]


Prof. Dr. Ernst Mayr (geb. 5. Juli 1904 in Kempten) studierte 1923 Medizin in Greifswald und 1925 Zoologie in Berlin, wo er mit einer ornithologischen Arbeit unter Erwin Stresemann promoviert wurde. Teilnahme an mehreren Expeditionen (Neu Guinea, Salomoninseln), ab 1932 tätig am American Museum of Natural History in New York, von 1953 bis 1975 Alexander-Agassiz-Professur für Zoologie am Museum of Comparative Zoology der Harvard University. Zusammen mit Julian Huxley, Bernhard Rensch und George Gaylord Simpson Begründer der Synthetischen Theorie der Evolution. Wegweisende Arbeiten zum Biologischen Artbegriff, zur Systematik und zur Theorie und Geschichte der Biologie. Wichtige Werke: Methods and Principles of Systematic Zoology (1953), Animal Species and Evolution (1963; deutsch: Artbegriff und Evolution, 1967) und The Growth of Biological Thought (1982; deutsch: Die Entwicklung der Biologischen Gedankenwelt, 1984). Jüngste auch auf deutsch erschienene Publikation: Das ist Biologie - Die Wissenschaft vom Leben (1998).


Museum of Comparative Zoology, Harvard University, 26 Oxford Street, Cambridge, Massachusetts 02138. USA


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