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Mikroskopie: Entwicklungen im 19. Jahrhundert und ihre Anfänge
im 17. Jahrhundert


Die Anfänge der Mikroskopie und Physiologie reichen bis ins 17. Jahrhundert zurück. Man begann, angeregt durch HARVEYs Entdeckung des Blutkreislaufs nach etwas Entsprechendem bei Pflanzen zu suchen. Saftströme wurden untersucht, der Wasserhaushalt wurde studiert, und die Erkenntnis, daß Salze eine entscheidende Rolle für die Ernährung der Pflanze spielen, setzte sich durch.

Das Mikroskop wurde zu einem nützlichen Hilfsmittel der Forschung ausgebaut. P. BORELLI aus Den Haag in Holland gehörte zu den ersten Anwendern. Er sah an Pflanzenblättern Nerven, Flecken, einfache und sternförmige Haare. Die Engländer R. HOOKE (1635-1703) und N. GREW (1628-1711), der Italiener M. MALPIGHI (1623-1694) und der Holländer A. van LEEUWENHOEK (1630-1723) gelten als die herausragenden Mikroskopiker im letzten Drittel des 17.Jahrhunderts.

Sie erkannten, daß die im Mikroskop gesehenen Bilder gewertet werden müßten und daß ein Gesamtbild aus Teilbildern zu rekonstruieren sei. Es käme dabei darauf an, das Wichtige vom Unwichtigen zu unterscheiden und die einzelnen Wahrnehmungen in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Bei den Untersuchungen ist das Ziel zu verfolgen, die ganze innere Struktur der Pflanze zu erfassen und die Ergebnisse so darzustellen, daß die Aussagen jederzeit reproduziert werden könnten. Geschickte und überlegte Präparation, sorgfältiges Kombinieren der verschiedenen Bilder und lange Übung seien nötig, um jenes Ziel zu erreichen. Je stärker ein Mikroskop vergrößert, desto kleiner ist der zu beobachtende Ausschnitt, desto geringer ist auch die Tiefenschärfe, und desto höher sind die Anforderungen an das Abstraktionsvermögen. Da gerade diese Voraussetzung nur von wenigen erfüllt wurde, setzte sich zu Beginn des 18. Jahrhunderts die Meinung durch, mit dem Mikroskop könne man alles sehen, was man sehen wolle. Konstruktionsprobleme taten das übrige. Die Mikroskopie stagnierte daher nach vielversprechendem Start für über ein Jahrhundert.

ROBERT HOOKE gilt als Konstrukteur eines brauchbaren zweilinsigen Mikroskops. Er sah Saftgänge im pflanzlichen Gewebe und bemerkte darin Scheidewände, die er als Klappen deutete. Sein Hauptwerk "Micrographia" (1667) enthält eine Reihe mikroskopischer Beobachtungen; die wichtigste ist die Abbildung von Korkgewebe, aus der der zellige Aufbau ersichtlich ist. HOOKE erkannte diesen Tatbestand und nannte die von ihm gesehenen Einheiten Zellen. Als gut geschulter Mathematiker und Physiker errechnete er ihre Zahl auf 1000 pro Quadratzoll. Neben seinen mikroskopischen Studien befaßte er sich mit physiologischen Prozessen und postulierte, daß das Abknicken der Blattfieder der Mimosa pudica auf eine Abgabe ("Aushauchung") einer sehr feinen Flüssigkeit zurückzuführen sei. Das Brennen der Nessel erklärte er durch Ausfluß eines ätzenden Saftes aus den Borsten der Pflanzen.

N. GREW war Pflanzenphysiologe und -anatom. Er vermutete, daß der in den Staubfäden enthaltene Blütenstaub für die Befruchtung dienlich sein könne, und er beschrieb als erster Zellgewebe als Grundelemente des organischen Baus von Pflanzen. Eine besondere Bedeutung schrieb er dem Mark der Stengel zu, sah darin enthaltene Fasern und unterschied drei Typen: einzelne Fasern, schraubenförmige Fasern und Saftröhren im Bast. Er beschrieb die Entwicklung des Holzes und die Anordnung und Form von Spaltöffnungen; von ihm stammt auch der Begriff Parenchym. Er erkannte, daß die einzelnen Teilgebiete der Botanik zu einem Gesamtbild zusammengefügt werden müssen und daß ein Wissenschaftszweig vom Erfolg der anderen abhängt. M. MALPIGHI (1628-1694) war Professor in Bologna, 1679 erschien seine "Anatomia plantarum". Auch er befaßte sich mit Saftgängen in der Rinde. Er analysierte den inneren Bau der Wurzel und den Keimungsprozeß von Gräsern. Seine Darstellungen sind genauer als die von GREW, doch ließ er sich mehr von Vorurteilen leiten.

A. van LEEUWENHOEK (1632-1723) aus Delft untersuchte zahlreiche Gegenstände (Infusorien, rote Blutkörperchen, Bakterien). Seine Beobachtungen waren noch sorgfältiger als die von GREW und MALPIGHI. Er sah aus zellulärem Gewebe bestehende Strahlengänge im Holz und dokumentierte die Organisation von Stengelquerschnitten, Tüpfeln in sekundärem Holz und Kristallen in Zellen.

Die Lupen, Mikroskope und die dazugehörigen Einrichtungen zeigen, mit welch großem handwerklichen und künstlerischen Geschick die Geräte gebaut wurden. Am Ende dieser Forschungsperiode war sichergestellt, daß die pflanzlichen Gewebe aus zwei Typen bestanden:

dem aus Kammern (= Zellen) bestehenden saftigen Grundgewebe und
den langgestreckten Fasern.

Mit Beginn des 19. Jahrhunderts setzte wieder eine rege Forschungstätigkeit ein, wobei mindestens zwei Richtungen parallel verfolgt wurden:

einmal eine detaillierte Analyse der pflanzlichen Gewebe
und zum anderen die Erforschung des Fortpflanzungsmodus.

In diesem Zusammenhang wurden auch die bis dahin vernachlässigten niederen Pflanzen (Kryptogamen: Algen, Pilze, Moose, Farne) mit einbezogen. Die Erforschung der Fortpflanzungsorgane brachte den entscheidenden Durchbruch zur Klärung der Abstammungs- und Verwandtschaftsbeziehungen der großen taxonomischen Einheiten. Die Entwicklung von den Algen bis hin zu den Angiospermen konnte in großen Zügen nachvollzogen werden.

Im Zeitraum von 1800 bis 1840 arbeiteten mehrere Mikroskopiker an der Untersuchung des anatomischen Aufbaus der Pflanzen. Mit zunehmender Übung in der Präparation und der Vervollkommnung der Mikroskope (Zunahme der Vergrößerung, deutlichere Gesichtsfelder, Farbkorrekturen) hielt im ganzen auch die Herstellung mikroskopischer Zeichnungen Schritt.

Zu den bekanntesten Mikroskopikern gehörten C. F. MIRBEL (1776-1854 / Paris), K. SPRENGEL (1766-1833 / Halle), H. F. LINK (1767-1850 / Rostock, Berlin), C. L. TREVIRANUS (1779-1864 / Rostock, Breslau), J. J. BERNHARDI (1774-1850 / Erfurt) und P. MOLDENHAWER (1766-1827 / Kiel) einerseits und F. J. F. MEYEN und H. v. MOHL andererseits. Letztere konnten bereits auf den Erfahrungen ihrer Vorgänger aufbauen.

Einige Ergebnisse der Forscher der ersten Generation: MIRBEL stellte 1801 eine Theorie des Zellenbaus der Pflanze auf, SPRENGEL verfaßte 1802 eine Anleitung zum Studium der Gewächse, TREVIRANUS entdeckte die Interzellularräume (1806) in parenchymatischem Gewebe und 1821 die Bedeutung der Spaltöffnungen. MOLDENHAWER führte den Mais als Versuchsobjekt ein. Er sah, daß die Gefäße zu Bündeln vereint sind und daß sich diese deutlich vom Parenchym abheben. Er mazerierte festes Gewebe durch Fäulnis in Wasser und zerdrückte bzw. zerquetschte die Überreste, um auf diese Weise Strukturelemente (Leitbündel) isoliert untersuchen zu können.

F. J. F. MEYEN (1804-1840, Professor in Berlin), arbeitete über den Inhalt von Pflanzenzellen, 1830 erschien sein Lehrbuch der Phytotomie. Er unterschied und beschrieb einzelne Gewebetypen wie Mesenchym, Parenchym, Prosenchym und Pleurenchym.

H. v. MOHL (1805-1872, Professor in Tübingen, 1866 erster Dekan einer Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät) gilt als der sorgfältigste Mikroskopiker seiner Zeit. Die Linsen seiner Mikroskope stellte er selbst her. Er entdeckte, daß sich Zellen durch Teilung vermehren (1835), er beschrieb die Entwicklung der Spaltöffnungen (1838) und prägte den Begriff Protoplasma (1851).

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurden diffizilere Probleme angegangen. Die Zahl wissenschaftlicher Publikationen stieg lawinenartig an, eine Reihe neuer wissenschaftlicher Zeitschriften, die z.T. heute noch fortgeführt werden, wurde begründet. Man interessierte sich jetzt nicht mehr ausschließlich für die Anatomie voll ausgebildeter Gewebe, sondern begann, deren Entwicklung zu studieren. Unabhängig davon unternahm man es, die chemische Struktur der Zellen aufzuklären, indem man die Präparate mit Säuren, Alkalien, Alkohol, Äther u.a. vorbehandelte.

A. PAYEN (1795-1871, Professor in Paris) fand, daß junge Zellhäute (=Zellwände) nahezu ausschließlich aus Cellulose bestehen und daß diese später durch inkrustierende Substanzen verunreinigt werden, wobei sich die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Wände grundsätzlich ändern.

1838 postulierte M. SCHLEIDEN (1804-1881), daß alle pflanzlichen Gewebe aus Zellen aufgebaut seien. Er gilt daher als Begründer der Zelltheorie. Der Münchener Botaniker C. W. v. NÄGELI (1817-1891) formulierte die heute noch geltende Theorie der Zellbildung. Er klassifizierte die Gewebe in Teilungs- und Dauergewebe.

R. BROWN (1773-1858 / London) entdeckte 1840 den Zellkern (dem SCHLEIDEN später eine herausragende Rolle für die Zellbildung zuschrieb), T. HARTIG (1805-1880 / Braunschweig) die Aleuronkörner in Samen und A. PAYEN die Stärkekörner.

Durch Kochen in einem Gemisch aus Salpetersäure und chlorsaurem Kalk konnte F. SCHULZE (1851) einzelne Zellen aus Holz isolieren (SCHULZEsches Mazerationsverfahren). Seit den fünfziger Jahren wurden an den Universitäten mikroskopische Übungen (Praktika) angeboten. Die Qualität der Lehrbücher nahm sprunghaft zu. Richtungweisend im Stil und in der Darstellung war M. SCHLEIDENs Werk "Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik" (1842).

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden in immer stärkerem Umfang spezifische Farbstoffe zur Kennzeichnung der sonst nur schwach erkennbaren intrazellulären Strukturen (Kern u.a.) eingesetzt. Dieser methodische Ansatz erlaubte es E. STRASBURGER, den Vorgang der Kernteilung, den Zerfall des Kerns in Chromosomen und deren Aufteilung auf die Tochterzellen zu verfolgen (1875).


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