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Systematik und Taxonomie:
Methoden und Regeln zur Klassifikation von Pflanzen



"A plant's name is the key to its literature - in other words, the key to what we know about it."
(C. G. G. J. van STEENIS, 1957)

Es ist wohl ein Bestreben des Menschen, in jede Vielfalt eine Ordnung hineinzubringen, denn man kann nur das versuchen zu verstehen, was man übersehen kann. Bereits in den frühesten menschlichen Kulturen hat man sich mit der Formenvielfalt der belebten und unbelebten Natur auseinandergesetzt, und man begann mit der Benennung von Objekten und Organismen. Die Begriffsbildung war von Anfang an ein Hauptanliegen und gleichzeitig Streitpunkt einer jeden Klassifizierung. Zu den unvergänglichen Leistungen von PLATON und ARISTOTELES gehört die Erkenntnis, daß Objekte (und Organismen) bestimmten Rangstufen unterschiedlichen Hierarchiegrads zuzuordnen sind. Sie unterscheiden zwischen Ober- und Unterbegriffen. Gleichaussehende Individuen gehören einer Art an, einander ähnliche Arten einer übergeordneten Kategorie. Zum Beispiel gehören die Olivenbäume zu den Bäumen. Die wiederum gehören - zusammen mit den Kräutern zu den Pflanzen. Pflanzen und Tiere schließlich sind Lebewesen. In der Hierarchie der Kategorien stellen die Lebewesen die höchste Kategorie, Pflanzen, Bäume und Olivenbäume in absteigender Reihe untergeordnete Kategorien dar.

Eine Klassifikation kann nur selten - oder nur mit Einschränkungen - als ein für allemal abgeschlossen gelten, denn mit dem Fortschritt der Wissenschaft und dem Einsatz immer diffizilerer Methoden steigt zwar unser Wissen über die Vielgestaltigkeit der Organismen, stellt uns aber immer wieder vor neue Probleme der Einordnung dieser Erkenntnisse.

ARISTOTELES, C. v. LINNÉ, C. DARWIN z.B. hatten keine Vorstellung davon, daß man heutzutage cytologische Erkenntnisse oder biochemische Daten verwenden würde, um tieferen Einblick in das Wesen einer Art zu gewinnen.

Nach E. MAYR (1975) wird die Theorie und Praxis der Klassifikation der Organismen als Taxonomie, und die Wissenschaft von der Vielgestaltigkeit und dem Vergleich der Organismen als Systematik bezeichnet. Das Wesen der Systematik besteht (lt. Denkschrift der Deutschen Forschungsgemeinschaft: Biologische Systematik, 1982):

"...primär in der Erfassung und Ordnung der Formenmannigfaltigkeit der belebten Natur. Sie schafft die Voraussetzung für die Identifikation von Organismen und ermöglicht den Zugang zu der über sie vorhandenen Information. Damit liefert sie für die Ökologie und andere experimentell arbeitende biologische Disziplinen die Grundlage für den Vergleich und die Reproduzierbarkeit von Ergebnissen. ...(Sie) befaßt sich weiterführend mit der Klärung der Verwandtschaftsbeziehungen und der Begründung der höheren Einheiten, sowie darüber hinaus mit der Frage nach den Ursachen der Diversität der Organismen. Eine solche Systematik strebt nicht länger im aristotelischen Sinne die Klassifikation als erstes Ziel an. Vielmehr hat sie - ausgehend von der Vielgestaltigkeit der Organismen - zugleich die Aufgabe den Ablauf der Phylogenese zu rekonstruieren."

Ein kritischer Aspekt, der immer wieder Anlaß zu Kontroversen bietet, ist die unterschiedliche Gewichtung bzw. Bewertung morphologischer, cytologischer und biochemischer Daten . Ein weiteres Problem ist die Tatsache, daß Namen und Begriffe im Verlauf der Jahrhunderte ihre Bedeutung gewechselt haben; Übersetzungen in Nationalsprachen führten zu weiterer Konfusion. Es ist das Verdienst von C. v. LINNÉ, eine einheitliche binäre Nomenklatur und eine Diagnostik der Arten (in lateinischer Sprache) entwickelt und an ca. 7700 selbst oder von seinen Mitarbeitern weltweit gesammelten Pflanzen erprobt zu haben.

Weil er das von ihm bearbeitete Material in einem Herbarium hinterlegte (heute im Besitz der Linnean Society in London) und andere ebenfalls noch verfügbare Herbarbelege nutzte, wissen wir genau, an welche Exemplare seine Namen gebunden sind. Auf diesem Vorgehen aufbauend, entwickelte sich die sogenannte Typenmethode. Sie beschreibt eine ganz bestimmte Arbeitsweise der Systematiker, die allein der Pflanzenbenennung dient. Pflanzennamen sind demnach an ganz bestimmte, in Herbarien deponierte Exemplare (Typen) gebunden. Bei diesem Verfahren handelt es sich um einen nomenklatorischen Trick, denn es ist in der Regel nicht möglich, die volle Breite der Variabilität innerhalb einer Art zu erfassen; zudem gibt es nur eine verschwindend geringe Zahl von Arten, deren genetische Daten bekannt sind.

Die Typenmethode darf nicht mit dem typologischen Artbegriff, der davon ausgeht, daß alle Individuen einer Art einer bestimmten Norm entsprechen, verwechselt werden. Dieser Ansatz spielt in der modernen Systematik keine Rolle mehr. Vielmehr besteht Konsens darüber , daß man eine Art als eine Fortpflanzungsgemeinschaft ansehen kann, die sich diskontinuierlich von einer verwandten Art abhebt. Die Zusammenfassung von Arten zu übergeordneten hierarchisch angeordneten Gruppen (Taxa) ist meist weit schwerer zu begründen.

Jede Benennung von Organismen muß bestimmten Regeln folgen. Es gibt mittlerweile einen internationalen Code der botanischen Nomenklatur, der dem Rechnung trägt. Er drückt Konventionen aus, auf die sich Wissenschaftler verständigt haben. Die Taxonomie der Pflanzen orientiert sich an anderen Kriterien als die der Tiere oder der Mikroorganismen. So spielen z.B. Stoffwechselwege und -produkte in der Systematik der Bakterien eine entscheidende Rolle, während biochemische Analysedaten zur Artbeschreibung von Pflanzen wenig beigetragen haben. Biochemische Daten erwiesen sich dort aber als geeignet, übergeordnete Taxa zu charakterisieren oder die Populationsstrukturen (Anteil von Heterozygotie und Polymorphismus) einzelner Arten zu klären.

Die Verwendung moderner elektronenmikroskopischer Techniken, z.B. der Rasterelektronenmikroskopie, erlaubte es, etwas mehr Klarheit im Bereich einzelliger, kleiner Organismen, z.B. der Diatomeen (Bacillariophyceen) zu gewinnen, deren Arten sich vornehmlich durch die Skulptur ihrer Oberfläche, die Zellform und -größe unterscheiden. Da gerade die Feinheiten der Oberflächenstruktur an der Auflösungsgrenze des Lichtmikroskops liegen, oft nur schwer und nur nach viel Übung erkennbar sind, erwies sich das Rasterelektronenmikroskop als große Hilfe. Gerade bei den einzelligen, sich asexuell (oder nur ausnahmsweise sich sexuell) vermehrenden Organismen bestehen noch große Unklarheiten über die Artzugehörigkeit (einzelner Individuen oder Populationen) und die intraspezifische Variation. Wir werden uns im folgenden zunächst fragen müssen,

nach welchen Kriterien Pflanzen klassifiziert werden,
wie viele Arten es gibt, und welchen übergeordneten Gruppen sie zugeordnet sind,
welche strukturellen und fortpflanzungsbiologischen Merkmale sich z.B. für systematische Zwecke eignen,
welche Bedeutung die Analyse sekundärer Pflanzenstoffe hat, und
welchen Beitrag die Analyse von Proteinen und Nukleinsäuren zur Systematik leistet.

Wir müssen uns aber auch im klaren darüber sein, daß der einzelne Bearbeiter einer Pflanzengruppe bei der großen Formen- und Artenvielfalt weder die Zeit noch Geld, und meist auch nicht die Vorkenntnisse und die technischen Voraussetzungen besitzt, jede Art nach jedem nur denkbaren Kriterium hin zu untersuchen. Die Diagnostik muß so schnell wie möglich und so sorgfältig wie nötig erfolgen. Sie hängt darüber hinaus vom eigentlichen Ziel der Untersuchung ab, denn es ist ein Unterschied, ob man eine Art inventarisieren (klassifizieren) will oder ob man deren phylogenetische Stellung ermitteln möchte. Ist man an letzterem interessiert, braucht man alle verfügbaren Daten.

Eine ausführliche und aktuelle Zusammenstellung zentraler Fragen der Taxonomie der Angiospermen bietet James L. REVEAL in einer Reihe von "Lecture Notes" ("Notes" ist hier allerdings massiv untertrieben)

James L. REVEAL (Norton-Brown Herbarium, University of Maryland)

Plant Taxonomy - PBIO 250 Lecture Notes


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