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Polyploidie


Polyploidisierung erwies sich als ein entscheidender, wenngleich nicht ausschließlicher Faktor der Artbildung bei Angiospermen (und Pteridophyten). Es ist daher wichtig, die damit zusammenhängenden Erscheinungen im Detail zu behandeln. Vielfach unterscheiden sich nah verwandte Artpaare aufgrund des Ploidiegrades voneinander, so z.B. die Artpaare Nasturtium officinalis (n = 16) und Nasturtium microphyllum (n = 32) oder Cardamine hirsuta (n = 8) und Cardamine flexuosa (n = 16). Bei einer dritten Cardamine-Art (C. pratensis) wurden neben n = 8, Populationen mit 12, 14, 15, 16, 19, 20, 21-28, 30, 32, 37, 42, 44, 45 und ca. 48 Chromosomen identifiziert.

Durch einen Vergleich der Chromosomenzahlen von Artpaaren läßt sich zwar feststellen, ob eine Art doppelt so viele Chromosomen wie die andere hat, so daß man die eine als diploid, die andere als tetraploid einstufen kann, doch läßt sich auf diese Weise nur selten die eigentliche Basiszahl (x) bestimmen. In der Regel muß man möglichst viele Arten einer Gattung (oder verwandter Gattungen) analysieren, um den kleinsten gemeinsamen Nenner, x nämlich, zu ermitteln.

Für überwiegend krautige Angiospermenfamilien werden Basiszahlen von 6-9 angegeben, für holzige Familien einschließlich der Gymnospermen 11 und darüber.

Manchmal, doch nicht immer, ist der Ploidiegrad mit morphologischen Merkmalen, geographischer Verbreitung oder ökologischen Ansprüchen korreliert. Dazu einige Beispiele:


Arten (Unterarten) der Galium pumilum-Gruppe sind in Süd- und Mitteleuropa verbreitet. Zwischen Di- und Octoploidie sind verschiedene weitere Ploidiegrade nachgewiesen worden. Die diploide Art Galium austriacum kommt als ein glaziales Relikt in einigen geographisch voneinander isolierten Arealen der Alpen vor. Die zugehörigen polyploiden Formen (Arten, Unterarten) sind weit verbreitet. Die Populationen gehen kontinuierlich ineinander über. Bei Galium anisophyllum kommt jeder gradzahlige Ploidiegrad zwischen zwei und zehn vor. Auch hier repräsentieren die diploiden Formen glaziale Relikte, die mosaikartig in europäischen Gebirgen zu finden sind. Die postglazial entstandenen Octoploiden sind gleichmäßig und weit verbreitet. Die Verbreitung der Tetraploiden nimmt eine Mittelstellung ein. Sie sind zwar auch weit verbreitet, die Verbreitunsgebiete der einzelnen Populationen sind aber klar voneinander getrennt (F. EHRENDORFER, Botanisches Institut der Universität Wien, 1949, 1964).

Biscutella laevigata (Brillenschötchen, Familie: Brassicaceae). Die Verteilung diploider und tetraploider Rassen (Populationen) in Mitteleuropa ist mit der Ausdehnung der letzten Vereisung (im Pleistozän) korrelierbar. Diploide Rassen findet man in den nicht vereisten Urstromtälern, die tetraploiden besiedelten (nach Rückgang des Eises) den alpinen Bereich und dehnten sich von dort nach Südeuropa aus (I. MANTON, 1934, 1937)

Asplenium trichomanes (Brauner Streifenfarn). Morphologisch sind diploide und tetraploide Populationen nicht voneinander unterscheidbar, diploide bevorzugen saure, tetraploide alkalische Böden.

Ranunculus ficaria. In Europa sind 2x-, 4x-, 5x- und 6x-Rassen (Populationen) nachgewiesen worden. Die einzelnen Rassen sind an kleinen, aber signifikanten morphologischen Unterschieden erkennbar. An jedem Standort, an dem neben den diploiden tetraploide Rassen auftreten, unterscheiden sich letztere jeweils in einem anderen Satz von Merkmalen von ersteren. Mit anderen Worten: Es gibt keine eindeutige Richtung, durch die sich die Tetraploiden von den Diploiden abheben. Statt dessen läßt sich sagen, daß die Heraufsetzung des Ploidiegrades der Pflanze eine erhöhte Flexibilität in der Expression ihres Genoms verleiht, um auf unterschiedliche Biotopeinflüsse mit jeweils anderen Strategien zu reagieren.


Diese Beispiele belegen, daß unterschiedliche Ploidiegrade nicht nur bei verwandten Arten, sondern auch innerhalb einer Art auftreten und daß sich Ploidierassen oft, aber nicht immer, durch ihre ökologischen Ansprüche oder ihre geographische Verbreitung voneinander unterscheiden. Polyploide Rassen können sich meist dort nicht durchsetzen, wo die diploiden verbreitet sind; sie gewinnen jedoch bei der Besiedlung neuer (gestörter) Lebensräume oft einen Vorteil (adaptive Radiation). Polyploidisierung und eine derartige Ausbreitung können daher ein erster Schritt zur Artneubildung sein.

Wie im Themenkreis Genetik dargelegt, haben Polyploide (vor allem Autopolyploide) oft Meiosestörungen. Daher ist gerade bei ihnen der Anteil perennierender, langlebiger Arten, sowie von Arten, die sich vegetativ fortpflanzen können (Agamospermie - Apomixis), besonders hoch. 30 bis 75 Prozent aller Angiospermen (und der überwiegende Teil der Farne) sind als polyploid einzustufen (G. L. STEBBINS, 1938, 1940, 1947, 1950; G. TISCHLER, 1950), wohingegen die Polyploidie bei Gymnospermen selten ist.

Mitte der vierziger Jahre wiesen A. und D. LÖVE in mehreren Publikationen darauf hin, daß die Zahl polyploider Arten mit zunehmender geographischer Breite (von Schleswig-Holstein über Skandinavien nach Spitzbergen) anstieg. Dem wurde entgegengehalten (Å. GUSTAFSON, 1948), daß bei dieser Aussage in jeder Klimazone andere Pflanzenfamilien berücksichtigt wurden. So nimmt beispielsweise der Anteil der Gramineen, Cyperaceen und Rosaceen in Richtung Norden zu, und gerade in diesen Familien findet man überall einen hohen Anteil an Polyploiden. Es gibt nur einige wenige Arten, deren diploide Rassen in wärmeren Zonen, die polyploiden in kälteren auftreten. 1932 fand O. HAGERUP, daß Polyploidie durch experimentell ausgelösten Kälteschock induzierbar ist. Ob diese Beobachtung eine Zunahme der Polyploidie in kälteren Zonen erklären kann, oder ob polyploide Arten, wie immer sie auch entstanden sein mögen, und welcher Familie sie auch immer angehören, an extreme Bedingungen besser angepaßt sind als z.B. Familien, in denen Polyploidie selten ist, bleibt offen. Eine Ausnahme scheinen manche Gymnospermen in der Nadelwaldzone (!) zu uachen, die dort zwar mengenmäßig dominant (individuenreich), aber trotz weiter Verbreitung nur mit wenigen Arten vertreten sind. Ergänzende Studien von A. und D. LÖVE und anderen Wissenschaftlern erhärteten ihre früheren Feststellungen . Im Einklang damit steht die Zunahme polyploider Arten mit zunehmender Höhe in Gebirgen (A. W. JOHNSON, J. G. PACKER 1965).


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