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Intraspezifische Variationsmuster


DARWINs Selektionstheorie und die Erkenntnis, daß die Individuen einer Art nicht das Abbild eines Typus sind, sondern Populationen repräsentieren, regte zahlreiche Zoologen und Botaniker dazu an, die Variabilität innerhalb einer Art und den Einfluß von Umweltfaktoren auf die Ausprägung einzelner Merkmale zu untersuchen.

Der französische Botaniker G. BONNIER (1853-1901) versetzte Pflanzen aus Tälern ins Hochgebirge und fand, daß 80 von 200 Arten den Witterungsbedingungen in der Höhe nicht gewachsen waren. Die Überlebenden zeichneten sich durch Zwergwuchs und Abnormitäten aus. Mit Taraxacum officinale führte er ein klassisch gewordenes Experiment durch, dessen Ergebnis fester Bestandteil aller Biologieschulbücher wurde und das immer wieder als das Musterbeispiel für Modifikation (nicht erbliche Veränderung des Phänotyps) zitiert wird.

Systematische Verpflanzungsversuche wurden in den siebziger und achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von A. KERNER v. MARILAUN (1831-1898) durchgeführt. Er kultivierte eine Anzahl von Arten im Botanischen Garten Wien und gleichzeitig in einem alpinen Versuchsgarten in 2195 m Höhe auf dem Blaser (oberhalb von Trins im Gschnitztal/Tirol). Viele der in Wien regelmäßig keimenden einjährigen Pflanzen (z.B. Gilia tricolor, Hyoscyamus albus, Trifolium incarnatum) gingen im Hochgebirge wegen der noch im Juni auftretenden Nachtfröste zugrunde, andere Arten wiederum wurden durch die Fröste im Wachstum gehemmt, kamen aber schließlich (Ende August, Anfang September) doch noch zur Blüte (Lepidium sativum, Centaurea cyanus, Iberis amara, Satureja hortensis, Senecio vulgaris, Viola arvensis). Die Zahl der Blüten war geringer, und die Blüten waren kleiner als bei den Kontrollen in der Ebene. Ein Teil der einjährigen Pflanzen blühte nicht oder brachte kaum reife Samen hervor, statt dessen wurden die Pflanzen mehrjährig (Poa annua, Senecio nebrodensis, Senecio vulgaris, Ajuga chamaepitys, Viola tricolor, Cardamine hirsuta, Medicago lupulina u.a.). Von den über 300 ausdauernden, am Blaser ausgepflanzten Arten gelangten nur 32 zur Blüte. In allen Fällen war der Vegetationskörper der Pflanzen stark gestaucht, der Stengel war kurz und der Durchmesser von Blättern und Blüten klein, Blütenstände hatten nur wenige Blüten, die Blüten nur wenige Staubblätter. Doch waren die Blüten der meisten im Gebirge gezogenen Arten - bewirkt durch die intensive kurzwellige Strahlung - intensiver gefärbt als die der Kontrollen im Botanischen Garten Wien.

Die durch Kultur im Hochgebirge entstandenen Veränderungen blieben in der Nachkommenschaft nur dann erhalten, wenn man sie dort beließ; die Pflanzen nahmen wieder ihr ursprüngliches Erscheinungsbild an, sobald man sie wieder ins Tiefland zurückbrachte. Zusammenfassend schreibt A. KERNER v. MARILAUN:

"Die durch den Wechsel des Bodens und Klimas bewirkten Veränderungen der Gestalt und Farbe erhalten sich demnach nicht in der Nachkommenschaft. Die Merkmale, welche als Ausdruck dieser Veränderungen in Erscheinung treten, sind nicht beständig."


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