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Auswirkungen DARWINscher Arbeiten: Anerkennung, Fortführung und Ablehnung.

Essay: Zwei Seiten einer Medaille - Evolutionsforschung am Ende des 20. Jahrhunderts.


Im Gegensatz zur MENDELschen Arbeit wurden DARWINs Werke unmittelbar nach Erscheinen gelesen, kritisiert und auch akzeptiert. Obwohl es schien, als sei 1859 die Zeit reif, die Beweise und Gedanken zu einer Selektionstheorie der Evolution zusammenzufassen, waren es zunächst nur wenige, die DARWINs Ansichten teilten und die Selektionstheorie durch eigene Beobachtungen und Experimente stützten

Zu den Gegnern gehörte der Abteilungsleiter der naturwissenschaftlichen Sammlungen des Britischen Museums, R. OWEN, der sich durchaus auch mit Problemen der Abstammung befaßte; von ihm stammen die auch heute noch geläufigen Begriffe Homologie und Analogie.

Zu DARWINs Befürwortern zählten in England der Geologe C. LYELL, der Direktor des Londoner Botanischen Gartens (Kew Garden) J. D. HOOKER sowie der Zoologe und Anthropologe T. H. HUXLEY. Die Auseinandersetzungen der Kontrahenten quittierte die britische Presse durch zeitgemäße Karikaturen.

In Deutschland wurden seine Vorstellungen durch den Jenaer Zoologen E. HAECKEL (1834-1919) verbreitet und fortentwickelt.

M. SCHLEIDEN nahm wesentliche Aspekte der DARWINschen Lehre in die 4. Auflage seiner "Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik" (1860) auf. Die Abstammungslehre wurde im "Lehrbuch der Botanik" von J. v SACHS (1. Auflage 1870) behandelt, dem Selektionsgedanken konnte der Autor jedoch nicht folgen.

DARWIN hat in keinem seiner Werke (wohl aber in seinen Tagebüchern und Manuskripten) versucht, einen Stammbaum der Organismen zu erstellen. Unter Verknüpfung der Selektionstheorie mit den HOFMEISTERschen Ergebnissen (Generationswechsel) veröffentlichte E. HAECKEL 1866 einen ersten Stammbaum der Pflanzen.

DARWINs Vorstellungen über die Evolution dürfen, wie E. MAYR (1982, 1984) vermerkte, nicht zu einer einzigen Theorie zusammengefaßt werden. Vielmehr besteht sein Werk über die Entstehung der Arten aus einem Komplex von fünf, primär voneinander unabhängigen Theorien:

Evolution an sich
gemeinsame Abstammung
allmähliche Evolution (Gradualismus)
Artbildung als Populationsphänomen
natürliche Auslese

Bereits die Feststellung, daß es eine Evolution geben müsse, entsprach nicht den Mitte des vorigen Jahrhunderts in England vertretenen Anschauungen (trotz der bereits bekannten Arbeiten der Franzosen BUFFON und LAMARCK sowie von CUVIER).

Wie gerade erwähnt, wurden manche - aber nicht alle - der DARWINschen Vorstellungen von den Biologen der zweiten Hälfte des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts übernommen. Noch 1901, 1903 stellte der holländische Genetiker H. de VRIES (einer der drei Wiederentdecker der MENDELschen Regeln) eine Mutationstheorie der Evolution auf, die auf drei Postulaten beruht:

  1. Die kontinuierliche, individuelle Variation ist nicht relevant, soweit es die Evolution betrifft.
  2. Die natürliche Auslese ist unbedeutend.
  3. Jeglicher evolutionärer Wandel ist plötzlichen großen Mutationen zuzuschreiben. Arten haben Perioden, in denen sie veränderlich (mutabel) sind und andere, in denen sie dies nicht sind (immutabel).

Unter Genetikern in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts kursierte der Begriff Großmutation. In der frühen Phase der molekularbiologischen Periode konnte man damit wenig anfangen. Nachdem wir jedoch wissen, daß es "springende Gene" (Transposons) gibt und daß der Regulierbarkeit von Genen oder Gruppen von Genen eine größere Bedeutung zukommt als der Abänderung einzelner Gene (Punktmutationen), wird der Begriff, in neuem Licht gesehen, wieder zur Diskussion gestellt.


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