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CHARLES DARWIN. Ein Wendepunkt - davor und danach


CHARLES DARWIN ist neben GREGOR MENDEL der wohl bekannteste Biologe des vergangenen Jahrhunderts. 1859 erschien sein bedeutendstes Werk

On the origin of species by means of natural selection or the preservation of favoured races in the struggle of life

Es stellt einen Wendepunkt in der Geschichte der Evolutionsforschung, doch nicht ihren Anfang dar. Vorstellungen über eine Evolution und über eine Veränderung der Flora und Fauna im Verlauf der Zeit gab es ansatzweise (und wenig beachtet) in der Antike (EMPEDOKLES, ARISTOTELES), doch eine schlüssige Beweisführung fehlte.

R. HOOKE (geb. 1635 auf der Insel Wight, gest. 1703), den wir als einen der ersten Mikroskopiker kennengelernt haben und der den Begriff Zelle geprägt hat, beschrieb zahlreiche fossile Formen aus dem englischen Jura und fand, daß sich die Formen einer geologischen Schicht von denen einer anderen unterschieden. Er vermied jedoch den Schluß, daß eine Evolution stattgefunden habe, sondern nahm an, die Fossilien seien Relikte von Organismen, die durch Sintfluten vernichtet worden seien. Diese Vorstellung wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts von dem schwäbischen Naturforscher G. CUVIER (1769-1832) aufgegriffen und zu der Kataklysmen- oder Katastrophentheorie ausgebaut. Sie besagt, daß Fossilien Reste aufeinanderfolgender Serien von Floren (und Faunen) seien, die nacheinander durch Katastrophen zugrunde gegangen sind. Er begründete seine Annahme durch die Existenz einer Schichtung im Gestein, bei der die einzelnen Schichten übergangslos aufeinanderfolgen. Obwohl er feststellte, daß tiefer liegende Schichten primitivere Formen als darüberliegende enthielten, wertete er diesen Tatbestand nicht weiter aus.

Die Bedeutung pflanzlicher Fossilien wurde zu Beginn des 18 Jahrhunderts von dem Schweizer Arzt un Mathematiker Johann Jakob SCHEUCHZER erkannt, die Befunde legte er in seinem illustrieretn Werk "Herbarium Diluvianum" nieder



Ein entscheidender Durchbruch gelang dem Pariser Zoologen G. L. BUFFON (1707-1788), der bereits 1766 in seinem Werk "Über die gemeinsame Abstammung von Vorfahren" darauf hinwies, daß man nicht nur Esel und Pferd, sondern auch Menschen und Affen einer natürlichen Familie zurechnen müsse. BUFFON erörterte eine Anzahl von Evolutionsproblemen, an die vor ihm niemand gedacht hatte. Er kam zwar oft zu falschen Schlüssen, doch war er es, der diese Themen in das Repertoire der wissenschaftlichen Fragestellungen aufnahm. Er vertrat die Ansicht, die Mehrheit der Variationen sei nichtgenetischer Natur und durch die Umwelt verursacht. Dieser Gedanke wurde von einem seiner Schüler, JEAN BAPTISTE de LAMARCK (1744-1829), aufgegriffen und 1809 in dessen "Philosophie Zoologique" weiterverfolgt:

"Da sich jede Art in vollkommener Harmonie mit ihrer Umgebung befinden muß und da sich diese Umgebung unaufhörlich ändert, muß eine Art, wenn sie in harmonischer Ausgewogenheit mit ihrer Umgebung bleiben will, ebenfalls einen ständigen Wandel durchmachen. Täte sie das nicht, liefe sie Gefahr, auszusterben."

LAMARCK entdeckte damit den Zeitfaktor in der Evolution der Organismen. Bevor er sich mit Evolutionsproblemen befaßte, bearbeitete er botanische Themen; er verfaßte eine vierbändige Flora von Frankreich. Später konzentrierte er sich auf Invertebraten. Seine vorgeschlagene Großgliederung ist auch heute noch gültig, 1801 prägte er den Begriff Biologie.

In der "Philosophie Zoologique" ging er davon aus, daß der Begriff "Art" zwar praktikabel und sinnvoll sei, daß Arten aber gelegentlich ohne scharfe Grenzen ineinander übergehen können. Daraus folgerte er, daß es in der Natur nur Einzelwesen gäbe, die sich nach Zahl und Ausbildung ihrer Organe im wesentlichen in eine einzige Stufenordnung einordnen lassen, was besonders dann deutlich wird, wenn man von den komplizierteren Formen zu den einfachen herabsteigt. Für eine "Artbildung" bei Pflanzen griff er das folgende Beispiel heraus:

"Solange Ranunculus aquatilis im Wasser untergetaucht wächst, sind alle Blätter in feine Segmente zerteilt, sobald aber ein Stengel die Wasseroberfläche erreicht, werden große runde nur einfach gelappte Blätter ausgebildet. Gelingt es einigen Ausläufern derselben Pflanze auf feuchtem Boden zu wachsen, ohne ins Wasser einzutauchen, dann werden ihre Stengel kurz, keines der Blätter ist mehr stark zerteilt, und wir erhalten Ranunculus hederaceus, das von den Botanikern als eigene Art anerkannt wird."

Eine Artumwandlung, wie er sie sich vorstellte, kommt in der Natur jedoch nicht vor. Ein einfaches Experiment, die Kultur von Ranunculus aquatilis auf feuchtem Boden, hätte ihn vor dem obengenannten Fehlschluß bewahrt. Trotz erheblicher Mängel, vieler unbewiesener Behauptungen (s.o.) und nur angesprochener Probleme (ohne Lösungsvorschlag), kann LAMARCKs Arbeit als erste konsequent durchdachte Theorie einer Abstammung angesehen werden.

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeichnete es sich immer klarer ab, daß die Organisationsformen der Pflanzen und Tiere sowie ihr Verhalten und Vorkommen von Umweltfaktoren geprägt wird. Man erkannte auch, daß die Struktur der Erdoberfläche einem stetigen Wandel unterworfen ist. Der britische Geologe CHARLES LYELL (1797-1875) unternahm den ersten heute noch weitgehend gültigen Versuch, die Entstehungsgeschichte der Erde zu deuten. Er führte alle Bewegungen der Erdoberfläche ausschließlich auf physikalische Ursachen zurück. So erklärte er das Zustandekommen von Schichten durch zeitlich aufeinanderfolgende Ablagerungen, und die Gesteinsbildung durch Druck und Faltungen. Er hielt es für unwissenschaftlich, anzunehmen, daß in der Vergangenheit andere Kräfte geherrscht hätten als in der Gegenwart. Allerdings hielt er die biologischen Arten ursprünglich für unabänderlich, ließ die Ansicht aber unter dem Eindruck der DARWINschen Beobachtungen und Gedanken fallen. DARWIN wurde nachhaltig von LYELLs Vorstellungen beeinflußt.

Ebenso wichtig waren für DARWIN die Vorstellungen des britischen Ökonomen THOMAS ROBERT MALTHUS (1766-1834), der in einer 1798 erschienenen Schrift

An essay on the principle of population

auf das Problem einer Bevölkerungsexplosion hinwies, weil die menschliche Bevölkerung in geometrischer Reihe (exponentiell), die Nahrungsmittelproduktion in arithmetischer Reihe (linear) wachse. Er sah voraus, daß die Erde, da sie eine nur beschränkte Aufnahmekapazität hat, in absehbarer Zeit überbevölkert sein würde und daß nur ein Teil der Menschheit überleben könne, wenn keine geeigneten Kontrollmechanismen getroffen würden. MALTHUS hatte deutlich erkannt, daß es wegen der Knappheit der Ressourcen einen "Kampf ums Dasein" gibt.

Mehrere Naturforscher des vergangenen Jahrhunderts gelangten durch das Studium von Einzelfällen zu ähnlichen Erkenntnissen, schafften es jedoch nicht, ihre Beobachtungen zu einer umfassenden, vereinheitlichenden Theorie zusammenzustellen.

W. C. WELLS wird von DARWIN als der Entdecker des Prinzips der natürlichen Zuchtwahl zitiert; 1818 schrieb jener u.a.:

"...Unter den zufälligen Varietäten von Menschen, die unter den wenigen zerstreuten Einwohnern der mittleren Gegenden von Afrika auftreten, werden einige besser als andere imstande sein, den Krankheiten des Landes zu widerstehen. In Folge hiervon wird sich diese Rasse vermehren, während die anderen abnehmen werden, und zwar nicht bloß, weil sie unfähig sind, die Erkrankungen zu überstehen, sondern weil sie nicht imstande sind, mit ihren kräftigen Nachbarn zu konkurrieren."

Beispiele aus der Botanik: RAFINESQUE äußerte in seiner "New Flora of North America" (1836):

"... alle Arten mögen einmal bloße Varietäten gewesen sein, und viele Varietäten werden dadurch allmählich zu Arten, daß sie konstante und eigentümliche Merkmale erhalten."

C. NAUDINs Ansicht war (1852), daß Arten in analoger Weise von der Natur, wie Varietäten durch die Kultur gebildet worden seien; den letzteren Vorgang schreibt er dem Wahlvermögen des Menschen zu. Doch über die Art und Weise, wie die Wahl in der Natur vor sich geht, macht er sich keine Gedanken.

1853 postulierte SCHAAFFHAUSEN in einem Aufsatz in den "Verhandlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins der Preußischen Rheinlande", daß das Auseinanderweichen der Arten durch Zerstörung der Zwischenstufen zu erklären sei.

". . . Lebende Pflanzen und Tiere sind daher von den untergegangenen nicht als neue Schöpfungen geschieden, sondern vielmehr als deren Nachkommen infolge ununterbrochener Fortpflanzung zu betrachten"

Der wohl bedeutendste der vielen Vorläufer DARWINs war der Wiener Botaniker F. UNGER (1800-1870, einer der Lehrer von GREGOR MENDEL und A. KERNER von MARILAUN). In seiner 1852 verfaßten Schrift "Versuch einer Geschichte der Pflanzenwelt" schreibt er:

" In dieser Meeresvegetation aus Thallophyten, namentlich aus Algen bestehend, wäre demnach der wahre Keim sämmtlicher in der Zeit nach und nach hervorgetretener Pflanzenformen zu suchen. Es unterliegt keinem Zweifel, daß der auf dem Erfahrungswege bis hierher verfolgte Ursprung der Pflanzenwelt theoretisch noch weiter verfolgt werden kann, und daß man zuletzt wohl gar auf eine Urpflanze, ja noch mehr auf eine Zelle gelangt, die allem vegetabilischen Sein zum Grunde liegt."

Er fährt fort:

"... es gäbe in den Beziehungen der Arten untereinander bei weitem zu viele Regelmäßigkeiten, als daß man annehmen könne, der Ursprung neuer Arten könne durch äußere Einflüsse bedingt sein... Aus diesem geht aber klar hervor, daß der Entstehungsgrund aller dieser Verschiedenheiten des einen Pflanzenlebens durchaus kein äußerer sein kann, sondern nur ein innerer sein muß... Mit einem Worte, jede entstehende neue Pflanzenart... muß aus der anderen hervorgehen."

1858 erhielt C. DARWIN unter Vermittlung von C. LYELL Kenntnis über eine Arbeit von A. R. WALLACE (1823-1913), in der er seine Theorie der Artbildung darlegte. WALLACE hatte die Verbreitung von Tierarten untersucht und kam zu dem Schluß, daß es eine Selektion und eine Evolution gegeben haben müsse. Auch er wurde durch die Vorstellungen von MALTHUS zu diesem Gedanken angeregt. WALLACE wurde durch Einflüsse seines Lehrers H. W. BATES (1825-1893) geprägt, dessen Mimikrytheorie er weiter ausbaute. Die 1858 verfaßte Schrift

On the tendency of varieties to depart indefinitely from the original type

erschien in den "Transactions of the Linnean Society" (Herausgeber: LYELL); ihr folgte im gleichen Heft eine Notiz DARWINs, in der er auf sein im folgenden Jahr erscheinendes Hauptwerk hinwies.


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