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Genzentren, Atavismus


Der russische Genetiker N. I. VAVILOV (Moscow Agricultural Institute, Moskau - später Saratov) fand auf seinen zahlreichen Forschungsreisen, daß bestimmte geographische Regionen durch eine außerordentliche Mannigfaltigkeit gerade solcher Arten ausgezeichnet sind, die als Wildformen von Kulturpflanzen anzusehen sind. Diese Regionen bezeichnete VAVILOV als Genzentren. Diese Idee ist in den letzten Jahren ausgebaut worden und bezieht sich nicht mehr allein auf die weltweit verbreiteten Kulurpflanzen, sondern auch auf die tropischen Nutzpflanzen, sowie auf die geographische Herkunft nichtkultivierter Gattungen oder Familien

Bei vielen nah verwandten Arten fand er gleichartige Abänderungen (=Parallelmutationen, Regel der homologen Reihen). So kommen z.B. bei allen Getreiden (Roggen, Weizen, Hirse, Sago, Mais) sowohl gespelzte als auch nicht gespelzte Varietäten vor, dann solche mit brüchiger Ährenspindel neben anderen mit stabiler. Damit waren ideale Voraussetzungen gegeben, um für den Menschen optimale Kombinationen entstehen zu lassen, und die Aufgabe des Menschen bestand lediglich darin, die günstigsten Varianten zu selektieren und in Kultur zunehmen.

Wichtige Angaben (Bild, Verbreitung, Ertrag) zu einer Vielzahl von Kulturpflanzen findet man in der Kulturpflanzenausstellung im Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung


(Kulturpflanzenausstellung am Max-Planck-Institut für Züchtungsforschung in Köln)


Genzentren der wichtigsten Kulturpflanzen:


1. Gebirgiger Teil von China, Nepal und angrenzenden Gebieten: Gerste, Soja, Phaseolus, zahlreiche Cruciferen (u.a. Brassica chinensis; Rettich), Teestrauch, Gurken, Prunus-, Pyrus-, Malus-Arten.

2. Vorder- und Hinterindien, Südostchina, Siam: verschiedene Tropenpflanzen, Reis, Zuckerrohr, Hibiscus, Jute, Baumwolle, verschiedene Leguminosen, Sesam.

3. Mittelasien (Tienschan bis Hindukusch, Nordwesthimalaya, Pandschab): Triticum-Arten, kleinsamige Formen der Erbse, Erbse (Pisum sativum), Linsen, Vicia faba, Lathyrus sativus, Cicer (Kichererbse), Linum (Lein), Raphanus sativus (Radieschen), Spinat, Küchenzwiebel, Knoblauch, Rüben.

4. Vorderasien, Transkaukasien bis Zentralanatolien und Palästina: Einkorn, Hartweizen, Saatweizen, zweizeilige Gerste, hexaploider Kulturhafer, Luzerne, zahlreiche Obstbäume.

5. Randgebiete des Mittelmeeres: Emmer, Hartweizen, Spelzweizen, Avena-Arten, großkörnige Typen von Hordeum vulgare (Gerste), Erbse, Linsen, Bohnen, Kichererbse, Lupine (Lupinus luteus), Trifolium-Arten (Klee), Spargel, Rote Rübe, Linum ustilagum (großsamige Sorten), Raps, Kohlrübe, gelber Senf, Ölbaum, eine Anzahl von Gemüsearten (Petersilie, Rhabarber, Porree, Endivie, Cichorie, Schwarzwurzel, Pastinak, Sellerie u.a.).

6. Abessinien, Eritrea: tetraploider Weizen, bespelzte Gerste, Hafer, verschiedene Hirsearten, Flaschenkürbis, Kaffee, Dattelpalme.

7. Südmexiko, Mittelamerika: Mais, verschiedene Bohnenarten (Phaseolus vulgaris, Phaseolus multiflorus), Batate, Baumwolle, verschiedene Kürbisarten, Sisal, Tomate, Paprika, Bauerntabak (Nicotiana rustica), Kakaobaum.

8. Südamerika (Anden, Peru, Equador, Bolivien): Mais, Kartoffel, Tomate, Kürbis, Tabak, Baumwolle, Erdnuß, Ananas.

(N. V. VAVILOV, 1928, ergänzt F. SCHWANITZ, 1971)

"Brüchige Ährenspindel" der Gramineen gilt als ein primitives Merkmal, das bei Kulturpflanzen nur noch in Ausnahmefällen auftritt. Nach Kreuzung bestimmter Varietäten mit stabiler Ährenspindel treten in der Nachkommenschaft gelegentlich wieder Individuen mit brüchiger Ährenspindel auf. Derartige Rückschläge nennt man Atavismen (sing.: Atavismus).


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