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Konsequenzen aus MENDELs Entdeckungen


Die Ergebnisse und vor allem die Schlußfolgerungen MENDELs gelten heute als Ausgangspunkt moderner Vererbungslehre (Genetik). Es ist daher unumgänglich, die Aussagen kritisch zu überprüfen, um ihren Geltungsbereich abzustecken.

MENDEL verstand es, zu abstrahieren. War dieser Schritt erst einmal vollzogen, ließ das Ergebnis auch eine Extrapolation (eine Vorhersage) zu. Abstraktion allein reicht jedoch nicht, um Biologie zu verstehen. Hierzu sein Kommentar:

"Die Geltung der für Pisum aufgestellten Sätze bedarf allerdings selbst noch der Bestätigung und es wäre deshalb eine Wiederholung wenigstens der wichtigsten Versuche wiinschenswert...(und)... ob die veränderlichen Hybride anderer Pflanzenarten ein ganz übereinstimmendes Verhalten zeigen, muß gleichfalls erst durch Versuche entschieden werden, indessen dürfte man vermuten, daß in wichtigen Punkten eine prinzipielle Verschiedenheit nicht vorkommen könne, da die Einheit im Entwicklungsplane des organischen Lebens außer Frage steht."

Bezeichnend ist der letzte Satz, denn er beschreibt ein uns heute geläufiges, seinerzeit aber höchst umstrittenes Phänomen der Biologie, nämlich die Kontinuität. Sie wird durch die Vererbung gewahrt und bildet einen Grundpfeiler des Evolutionsgedankens.

MENDELs Arbeit wurde von nur wenigen seiner Zeitgenossen zur Kenntnis genommen. Einer der wenigen, mit denen er über seine Ergebnisse korrespondierte, war der Münchener Botaniker C. v. NÄGELI. MENDEL berichtete ihm über Kreuzungen zwischen nah verwandten Wildformen, über gewisse sonderbare Folgerungen, die nicht in das übliche Schema paßten sowie über Untersuchungen, die die Annahme nahelegten, daß auch die Vererbung des Geschlechts durch die Spaltungsregel zu deuten sei.

Er sah Probleme, die sich bei der Vererbung von Blütenfarben ergeben, denn das Auftreten zahlreicher Schattierungen ließ sich nicht durch einzelne Gene erklären. Er postulierte, daß daran zahlreiche Gene beteiligt seien und jedes einen gewissen Beitrag zur Ausprägung der Farbintensität liefere. Im Gegensatz zu Pisum (Erbse) fand er beim Mais einen intermediären Erbgang, sah darin aber keinen fundamentalen Unterschied zum dominant-rezessiven.

Alle diese Ergebnisse wurden von MENDEL nie publiziert. Sie sind in seinem (erhaltenen) Briefwechsel mit C. v. NÄGELI enthalten. C. CORRENS hat ihn bearbeitet und 1905 herausgegeben. Mit Unterstützung durch v. NÄGELI bearbeitete MENDEL Hieracium-(Habichtskraut)-Bastarde, vor allem solche aus den Untergattungen Pilosella und Archhieracium.

Die Wahl dieser Objekte erwies sich als recht unglücklich, denn Hieracium ist eine Gattung, mit der die Systematiker auch heute noch ihre Schwierigkeiten haben. Oft erscheinen stabile Zwischen- oder Übergangsformen, deren Auftreten MENDEL nicht deuten konnte. Abgesehen von technischen Schwierigkeiten (Compositenblüten sind nie leicht zu bearbeiten), machte ihm eine erst viel später erkannte Erscheinung einen Strich durch die Rechnung:

Bei gewissen Arten entstehen die Samen nämlich direkt aus der Embryosackmutterzelle oder einer der Zellen des sie umgebenden Gewebes; die Reduktionsteilung unterbleibt. Eine solche Art der Samenbildung wird Agamospermie genannt. Die Mutterpflanze bildet demnach ohne Befruchtung Nachkommen aus, die sich zu ihr so verhalten wie ihre eigenen Ableger. Daneben gibt es Arten, bei denen nicht alle Samen agamosperm gebildet werden, sondern bei denen ein Teil aus befruchteten Eizellen hervorgeht. Das alles führte natürlich zu völlig unübersichtlichen Zahlenverhältnissen, weil die Voraussetzungen, auf denen die Mendelschen Regeln beruhen, nicht mehr gegeben waren.

MENDELs grundlegende Arbeit blieb 35 Jahre unbeachtet. Im Jahre 1900 war die Zeit zur Wiederentdeckung reif. Der Deutsche Carl CORRENS (1864-1933), der Holländer Hugo de VRIES (1848- 1935) sowie der österreicher Erich von TSCHERMAK-SEYSENEGG (1871-1962) gelten als ihre Wiederentdecker. Ihre Publikationen erschienen nahezu gleichzeitig (im Frühjahr 1900). Von MENDELs Arbeit erfuhren sie erst kurz vor Abschluß ihrer eigenen Untersuchungen. H. de VRIES schrieb dazu entschuldigend:

"Diese wichtige Abhandlung wird so selten zitiert, daß ich sie selbst erst kennenlernte, nachdem ich die Mehrzahl meiner Versuche abgeschlossen und die im Text mitgeteilten Sätze daraus abgeleitet hatte."

Die Priorität MENDELs wurde von allen drei Wiederentdeckern unumwunden anerkannt. C. CORRENS erkannte darüber hinaus, daß nicht alle Merkmale frei miteinander kombinierbar seien, sondern daß einige eindeutig untereinander gekoppelt sind (d.h. stets gemeinsam vererbt werden).

Mit dem Jahre 1900 beginnend, setzte eine rege Forschungstätigkeit ein. Die Gültigkeit der nun so genannten MENDELschen Regeln wurde für zahlreiche Pflanzen- und Tierarten bestätigt. Man fand aber auch Ausnahmen und suchte sie zu deuten.

Eine herausragende Bedeutung kam der Frage nach dem Mechanismus der Vererbung zu. Die Chromosomentheorie der Vererbung bot eine experimentell zunächst aber noch unzureichend abgesicherte Antwort hierauf. Heute gilt sie neben den MENDELschen Regeln als weiterer Grundpfeiler der Genetik. Sie wurde zu einer Voraussetzung, den Vererbungsprozeß auf molekularer Ebene zu verstehen. Es dauerte dann bis 1944, ehe O. T. AVERY, C. M. McLEOD und M. McCARTY (Rockefeller Institute, New York) die Desoxyribonukleinsäure (DNS, DNA) als Träger genetischer Information erkannten. Neun weitere Jahre vergingen, ehe J. D. WATSON und F. H. C. CRICK (1953, Cavendish Laboratory, Cambridge/England) ihre berühmte DNS-Doppelhelix vorstellten. Fast lapidar endet ihre Publikation mit dem Satz

"It has not escaped our notice that the specific pairing we have postulated immediately suggests a possible copying mechanism of the genetic material".

Um zu derartigen Ergebnissen zu gelangen, war um 1900 die Zeit noch lange nicht reif. Das biochemische Wissen steckte in den Anfängen, über Makromoleküle wußte man ebenso wenig wie über schwache Wechselwirkungen und die modernen analytischen Verfahren (z.B. Röntgenstrukturanalyse). Der Würzburger Physiker W. C. RÖNTGEN entdeckte zwar schon 1895 die nach ihm benannte Strahlung. Damit waren jedoch noch nicht die Voraussetzungen erfüllt, sie zur Aufklärung von Molekülstrukturen zu verwenden, denn es fehlte noch der theoretische Hintergrund, um aus Beugungsbildern auf molekulare Strukturen rückschließen zu können.


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