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Charakterisierung der Kryptogamen, stammesgeschichtliche Verwandtschaft zwischen Kryptogamen und Phanerogamen

Erste (unvollständige) Arbeiten zu diesem Thema erschienen zu Beginn des 18. Jahrhunderts:

J. J. DILLENIUS (1687-1747, Professor in Oxford) verfaßte 1717 eine "Fortpflanzung der Farrenkräuter (=Farne) und Moose". Den Staub in den Mooskapseln hielt er noch für Pollen. Eine Richtigstellung (Sporen) erfolgte durch TOURNEFORT.

Ein Pilzbuch, "Theatrum fungorum", mit der Beschreibung eßbarer und giftiger Arten erschien 1675 in Antwerpen; der Verfasser war F. V. STERBEECK (1631-1693).

H. F. LINK bereitete ein System der Pilze und Schwämme vor, das C. G. NEES von ESENBECK vervollständigte und 1817 (in Würzburg) herausgab.

Algen wurden von dem Vegesacker Arzt A. W. ROTH (1737-1834) bearbeitet, der (1797) Grundregeln für die Unterscheidung von Süßwasseralgen (unter Zuhilfenahme eines Mikroskops) erstellte.

BONAVENTURE CORTI beobachtete die zirkulierende Bewegung des Saftes in den Gliedern von Chara (1774) und der Genfer Geistliche J. P. VAUCHER die Verbindung zweier Röhren bei Spirogyra und die dadurch erfolgte Erzeugung von Keimkügelchen sowie das Zusammentreten der letzten in den verengten Stellen. Er kam zu dem Schluß (1803), daß diese Vereinigung als ein Sexualakt (Konjugation) aufzufassen sei. Eine Bestätigung folgte 1858 durch de BARY.

K. C. SCHMIEDEL (1718-1793) begann mit der Untersuchung der Befruchtungsorgane von Lebermoosen und anderen Kryptogamen. Grundlegend für alle späteren Untersuchungen wurden aber die Arbeiten von J. HEDWIG (1730-1799) aus Siebenbürgen, ab 1789 Professor der Medizin, später der Botanik in Leipzig. 1774 entdeckte er die Befruchtungsorgane der Laubmoose, und in den Jahren 1782-1784 legte er Beweise vor, um die Moose in das LINNÉsche System mit einbeziehen zu können. Dem Inspektor des Berliner Botanischen Gartens, Fr. OTTO (1784-1856), gelang es als erstem, Farne aus Sporen zu ziehen. In Berlin begründete er die reichste Farnsammlung Europas.

Ein sehr genaues Bild über niedere Pilze und deren Entwicklungsstadien wurde nach über zwanzigährigem Studium durch den erst in Freiburg, später in Straßburg wirkenden Botaniker ANTON de BARY (1831-1888) erstellt. Er begnügte sich nicht damit, die einzelnen Entwicklungsstadien an ihren natürlichen Standorten aufzusuchen, sondern nahm die Arten in Kultur, um so vollständig geschlossene Entwicklungsreihen zu verfolgen. Es gelang ihm auch, das Eindringen parasitärer Pilze in das Innere gesunder Pflanzen (und Tiere) festzustellen und zu zeigen, daß Pilze in lebendem pflanzlichem Gewebe existieren können. 1863 wies er nach, daß der gesamte Fruchtkörper der Ascomyceten selbst das Produkt eines Sexualaktes ist, der an den Fäden des Mycels stattfindet.

In den vierziger Jahren liefen wiederum viele der auseinanderdriftenden Spezialgebiete zusammen. Die mikroskopischen Verfahren waren weit vorangekommen (siehe vorangegangenen Abschnitt), und es zeigte sich, daß sie auch für das Studium der Kryptogamen unentbehrlich waren.

Den entscheidenden Durchbruch in bezug auf die stammesgeschichtliche Verwandtschaft zwischen Kryptogamen und den Phanerogamen (Blütenpflanzen) erzielte W. HOFMEISTER (1824-1877, 1863 Professor der Botanik in Heidelberg, 1872 in Tübingen). Er stellte die Gymnospermen, die bisher zu den Dikotyledonen gestellt wurden, als dritte Klasse neben die Mono- und Dikotyledonen und erkannte Homologien zwischen dem Fortpflanzungsmodus höherer Kryptogamen und der Samenbildung der Phanerogamen.

Zu seinen wichtigsten Untersuchungen gehörte das Studium der Embryonalentwicklung der Phanerogamen (1851). Er fand, daß der Embryosack schon vor der Befruchtung ein "Keimkörperchen" enthält, welches durch das Eintreffen des Pollenschlauches zur weiteren Entwicklung, also zur Bildung des Embryos angeregt wird. Er verfolgte Schritt für Schritt, Zelle für Zelle die Bildung und Organisation der Samenknospe, die Natur des Embryosacks und des Pollenkorns sowie die Entstehung des Embryos aus der befruchteten Eizelle. Darüber hinaus erkannte er die Bedeutung des Generationswechsels zur Aufklärung der Verwandtschaftsverhältnisse so unterschiedlich organisierter Gruppen wie der Algen, der Pteridophyten, der Moose, der Gymnospermen und der Angiospermen.

Damit schuf er die wichtigste Voraussetzung zur Konstruktion eines wirklich natürlichen Systems der Pflanzen. Der Generationswechsel tritt bei den Farnen und Moosen am deutlichsten in Erscheinung. Das gleiche Muster findet sich aber auch bei den Selaginellales; sie produzieren nämlich kleine männliche Mikrosporen und große weibliche Megasporen. Mit dem Auftreten dieser Zwischenlösung ließ sich die Samenbildung der Coniferen verstehen, deren Embryosack der großen Spore entspricht, wobei das Prothallium (Gametangium) zum Endosperm degenerierte, während sich die Pollenkörner als den Mikrosporen homolog erwiesen.

Die entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhänge bildeten von nun an einen roten Faden, entlang dessen die Evolution der verschiedenartigsten Pflanzengruppen erforscht werden konnte. Nur acht Jahre nach HOFMEISTERs Untersuchungen erschien DARWINs Deszendenztheorie. Die verwandtschaftlichen Beziehungen der großen Gruppen des Pflanzenreichs waren bereits so sicher begründet, daß sich keinerlei Widerspruch zwischen Beobachtungen und Theorie ergab und die Entwicklungsgeschichte der Pflanzen somit zu einer wichtigen Stütze der Deszendenztheorie wurde.


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