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Niedergang der Pflanzenkunde - Finsterstes Mittelalter


Im Altertum, zur Zeit der Römer waren schätzungsweise 1300-1400 verschiedene Pflanzenarten bekannt. Man wußte selbst nah verwandte Arten voneinander zu unterscheiden, obwohl eine willkürliche Namensgebung vielen Irrtümern und Verständigungsschwierigkeiten Vorschub leistete. Für Jahrhunderte stagnierte von nun an jegliche wissenschaftliche Aktivität. Es kamen weder neue Beobachtungen hinzu, noch setzten sich neuartige Ideen durch. Der Einfluß der Araber auf die Kultur des Abendlandes (über Spanien) hatte auf die Botanik kaum stimulierende Einflüsse, obwohl Europa durch sie mit der Literatur der Antike konfrontiert wurde. Eine ihrer wichtigsten Erfindungen, die Destillation, wurde erst Jahrhunderte später in die botanische Forschung eingeführt. Zu den Ansichten, die im arabischen Kulturkreis Anklang fanden, gehört folgende Betrachtung (zit. nach F. DIETERIER: Die Naturanschauung und Naturphilosophie der Araber im 10. Jahrhundert, Berlin 1861):

"Auf der niedrigsten Stufe steht das Ruinengrün (d.h. Flechten und Moosanfänge), das eben nichts anderes ist als Staub, der zusammenbackt. Auf der höchsten der Palmenbaum. Er ist eine Tierpflanze, welche in einigen Handlungen und Zuständen denen der anderen Pflanzen ferner steht, wiewohl sein Körper pflanzenartig bleibt. In ihm ist nämlich die handelnde (männliche) Kraft von der leidenden (weiblichen) getrennt. Bei den anderen Pflanzen sind aber diese Kräfte nicht geschieden".

Die Beobachtung, daß bei der Palme das männliche und weibliche Geschlecht getrennt sind, geht auf die Antike zurück. Auch ARISTOTELES und T.EOPHRAST kannten diese Tatsache, doch waren auch sie nicht in der Lage, weiterreichende Schlüsse daraus zu ziehen oder zu prüfen, ob diese Erscheinung auch bei anderen Pflanzen zu finden sei.

Der Start der Wissenschaften im Abendland war mühsam und zog sich über Jahrhunderte hinweg. Pflanzen wurden zum ersten Male in den Capitularien Karls des Großen (771-814) katalogisiert. Diese Aufzeichnungen sind Verordnungen für den Unterricht der Jugend, die Verbesserung der Landbearbeitung und die Anlegung von Gärten. Britische Benedektinermönche waren es, die die in den Gärten der kaiserlichen Pfalzen gezogenen Gewächse einzeln aufführten. Die Inventarverzeichnisse enthalten 6-7 Getreidearten, 17-18 Obstarten, 38 Gemüse und Gewürzkräuter, 35-37 Arzneigewächse, 5 Gespinst- und Färberpflanzen. Obwohl, wie schon gesagt, die arabische Kultur den Fortschritt der Wissenschaft in Mitteleuropa kaum beeinflußte, wurde die Geisteshaltung durch die in Spanien herrschenden Araber (bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts) geprägt. Mönche, Priester und Gelehrte wallfahrten dorthin, um die in großen Bibliotheken (z.B. in Cordoba, ab ca. 755: 660 000 Bände) vorhandenen Werke der Antike zu studieren. Viele von ihnen wurden ins Lateinische übertragen. Dabei - und im Verlauf der wiederholten anschließenden Abschriften - schlichen sich zahlreiche Fehler und Verfälschungen ein. Besondere Verwirrung stiftete die Verwendung von Pflanzennamen. Die uns heute geläufige Erkenntnis, daß sich die mitteleuropäische Flora grundsätzlich von der mediterranen unterscheidet, fehlte. Man erwartete, und das über viele Jahrhunderte hinweg, daß die von PLINIUS und nach Bekanntwerden der Werke von ARISTOTELES und THEOPHRAST auch die von ihnen genannten Pflanzen in Mitteleuropa vorkommen müßten. Man ging ferner davon aus, daß die Pflanzenlisten und Beschreibungen der Antike vollständig seien.

Erste Ansätze eigenständiger Beobachtungen gehen auf die Äbtissin HILDEGARD von BINGEN (1099-1179) zurück. Sie beschrieb über 300 Gewächse und versah sie im lateinischen Text mit deutschen Bezeichnungen, von denen einige noch bis ins letzte Jahrhundert hinein in deutschen Mundarten (Rheingau) benutzt wurden.

ALBERTUS MAGNUS (1193 (?)-1280) aus Laningen an der Donau, weitgereister Geistlicher und Gelehrter wird als Wiederentdecker wissenschaftlicher Pflanzenkunde genannt. In seinem Werk, von dem jedoch nur ein geringer Teil Pflanzen behandelt, spiegelt sich das Gedankengut der Antike wider; dennoch stellt es die erste beschreibende Flora Europas dar und wurde Vorbild und Vorläufer abendländischer Literatur (nicht nur auf dem Gebiet der Botanik).

Weitere Kenntnisse über Pflanzen verdanken wir zahlreichen Reisenden. Die Kreuzzüge bildeten einen Auslöser. Der Venezianer MARCO POLO bereiste in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts große Teile Zentralasiens und Chinas und vermehrte damit das Wissen über Pflanzen, Länder, Völker und Tiere: Bambus, Gewürznelken, Ingwer, Baumwolle, Zuckerrohr, Indigo, Rhabarber, Kampfer, Pfeffer und Muskatnüsse erreichten als Importgüter Venedig. Im 14. Jahrhundert wurden viele Reisen von Mönchen und Kaufleuten ins Morgenland unternornrnen, doch sie ergaben nur wenig Neues, weil den Reisenden die exakte Beobachtungsgabe fehlte, sie kein Vorwissen besaßen und die Reisen oft schlecht vorbereitet waren.


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